Bei den Landtagswahlen am 13. März 2016 erreichte die "Alternative für Deutschland" (AfD) 24 Prozent in Sachsen-Anhalt und damit mehr als zuvor bei den Umfragen angenommen. Die neue Partei, die von vielen als rechtspopulistisch eingestuft wird, ist damit zur zweitstärksten Kraft hinter der CDU (knapp 30 Prozent) avanciert. In Baden-Württemberg erreichte die Protestpartei 15 Prozent, in Rheinland-Pfalz waren es fast 13 Prozent. Diese Erfolge werden auf die Tatsache zurückgeführt, dass immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen: In den Debatten um Zuwanderung und Asyl machte die AfD-Parteispitze zuletzt durch provokante Aussagen auf sich aufmerksam.
Angesichts der Erfolge müssen sich Politiker der etablierten Parteien darauf einstellen, sich auch weiterhin mit der AfD und ihrer populistischen Flüchtlingsrhetorik auseinanderzusetzen. Bislang waren im Umgang mit der umstrittenen Partei vor allem drei Strategien zu erkennen:
- Konfrontationskurs: Manche Politiker stellten die AfD als undemokratisch und unwählbar dar. So nannte Wolfgang Schäuble (CDU) die Partei beispielsweise eine "Schande für Deutschland" und bezeichnete ihre Mitglieder als "Rattenfänger".
- Imitation: Andere passten die eigene Rhetorik an die Botschaften der AfD an. In diesem Zusammenhang geriet zum Beispiel der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer durch AfD-ähnliche Aussagen wie "Wir sind nicht das Sozialamt für den Balkan" in die Kritik.
- Verweigerung: Wieder andere mieden bewusst die öffentliche Auseinandersetzung mit der AfD. Ministerpräsidentin Malu Dreyer sorgte zum Beispiel für Aufsehen, als sie sich weigerte, an einer Talkrunde mit AfD Vertretern teilzunehmen.
Doch wie erfolgversprechend sind diese Taktiken? Stärken oder schwächen sie das rechtspopulistische Lager? Der MEDIENDIENST hat bei vier Experten nachgefragt.
Nicht jeder Konfrontationskurs ist der richtige
Wie der oben erwähnte Fall Schäuble zeigt, äußern sich Beurteilungen der AfD oft in Form von Beschimpfungen. Nico Lange von der Konrad-Adenauer-Stiftung, der im Februar 2016 eine Analyse zum Thema Populismus publizierte, hält es für effektiver, politische Inhalte ins Zentrum der Diskussionen zu rücken. Denn hier liegt der Schwachpunkt populistischer Parteien: "Der Unterschied zwischen etablierten und populistischen Parteien sind ernstzunehmende Lösungsansätze. Populisten haben in der Regel weder ein Konzept mit Lösungen, noch ein Interesse daran, Lösungen umzusetzen. Ihr Hauptziel ist es, die negative Stimmung der Einwanderungsgegner in Wahlerfolge umzumünzen."
Auch Orkan Kösemen von der Bertelsmann Stiftung warnt vor emotionsgeladenem Parteien-Bashing, das versucht, der AfD eine rechtsextremistische Gesinnung nahezulegen, ohne über deren politisches Programm zu diskutieren. Dadurch könnten sich populistische Parteien bequem in die Opferrolle zurückziehen. Stattdessen sollte man populistische Parteien inhaltlich herausfordern: "Indem man einen positiven Gegenentwurf vorlegt, ihn als Regierung geschlossen bewirbt und die Konkurrenz so in inhaltliche Erklärungsnot bringt."
Konfrontation sei wichtig, meint Alexander Häusler. Doch sie muss über das "Rechtsextremismus-Ticket" hinausgehen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel bezeichnete die AfD in einem Portal des Tagesspiegels zum Beispiel als "eine im Kern stramm rechtsextreme Partei." Doch der AfD eine offen rechtsextreme Ideologie zu unterstellen, ist laut Häusler nur teilweise richtig. Schließlich biete die AfD nicht nur ein Dach für offen Rechtsradikale sondern auch für Nationalkonservative und Wirtschaftsliberale.
Auf Inhalte statt auf Rhetorik zu achten, lohnt sich ebenso bei etablierten Parteien. Prof. Frank Decker erklärt, dass sich manche Parteien zwar rhetorisch klar von der rechtspopulistischen AfD abgrenzen, sich aber inhaltlich teils auf die Partei zubewegen – ein Trend, der auch in anderen EU-Ländern sichtbar ist.
Imitation legitimiert
Den Versuch, die AfD rechts einzuholen, hält Kösemen ebenfalls für unüberlegt, denn langfristig würden populistische Positionen so legitimiert. Außerdem, so der Experte der Bertelsmann Stiftung, "tendieren Wähler in solchen Situationen ohnehin dazu, das Original der Kopie vorzuziehen und entsprechend zu wählen."
Das rechtspopulistische Spektrum kann sich außerdem stets weiter nach Rechts verlagern: "Ist die populistische Position in der Mitte der Gesellschaft erst einmal salonfähig geworden, öffnet das die Tür für den nächsten Tabubruch", meint Nico Lange.
Zwar sieht auch Decker das Risiko, dass konservative Politiker den Rechtspopulismus durch die Übernahme von dessen Themen und Positionen ungewollt aufwerten könnten. Der Parteienexperte mahnt aber davor, Parteien, die konservative Haltungen zur Flüchtlingsfrage hegen, unter rechtspopulistischen Generalverdacht zu stellen: "Es ist enorm wichtig, zwischen Parteien zu unterscheiden, die lediglich eine konservative Haltung einnehmen und Parteien, die sich offenkundig rassistisch äußern."
Verweigerung ist der denkbar schlechteste Weg
Den Diskussionen mit der AfD bewusst aus dem Weg zu gehen halten alle vier befragten Experten für wenig erfolgversprechend. "Das ist ein klassisches Mittel gegen rechtsextreme Parteien," meint zum Beispiel Orkan Kösemen. "Durch Ignorieren kann man bei diesen Parteien zeigen, dass sie jenseits vom demokratischen Gemeinsinn existieren." Doch bei Rechtspopulisten, die das Stigma des Extremismus bewusst von sich weisen, bewirkt es laut Kösemen genau das Gegenteil: "Populisten werden durch ein solches Vorgehen nur weiter in ihrer Außenseiterrolle bestärkt."
Auch Nico Lange warnt vor der Gefahr, aus einem "moralischen Reflex" heraus zu reagieren. Wer nicht mit Populisten redet, der beschwört laut Lange ein "wir gegen die", dass der Logik der Populisten ähnelt. "Diese Art von Mobilisierung sollte man nicht unterstützen, deshalb ist es unklug, Populisten von Debatten auszuschließen," sagt der Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Wer die Auseinandersetzung mit Parteien wie der AfD scheut, verpasst laut Alexander Häusler außerdem die Möglichkeit ihr im Beisein der Öffentlichkeit den Spiegel vorzuhalten: Ihr Status als rechtsgerichtete Protestpartei bleibt in diesem Fall ebenso verborgen wie ihr instrumentelles Verhältnis zu Themen wie Meinungsfreiheit und Demokratie. Gerade deshalb ist der „Igitt-Faktor“, den manche Politiker gegenüber der AfD annehmen, so problematisch, meint Häusler.
Politiker und Medien müssen Debatten versachlichen
Das provokante Auftreten der AfD hat Politik und Medien in Deutschland in vielerlei Hinsicht unvorbereitet getroffen. Beide Seiten haben Probleme damit, den neuen deutschen Rechtspopulismus einzuordnen. Alexander Häusler beschreibt den Umgang mit der AfD als eine Verkettung von politischer Desorientierung und innerparteilicher Zerstrittenheit. Erst diese Mischung, so Häusler, machte die öffentlichkeitswirksame Inszenierung der AfD möglich.
Dass Zuspitzungen und Konflikte in Medien mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird als langwierigen Kompromissen ist nicht neu, sondern ein Grundprinzip der Aufmerksamkeitsökonomie. Doch "auf genau diese Logik setzen Populisten", so Nico Lange. Solche Dynamiken müssten deshalb in die Frage, wie man mit Populismus nachhaltig besser umgehen kann, dringend einfließen.
Etwas weniger Aufgeregtheit würde laut Nico Lange auch den politischen Debatten gut stehen. Wählerschaften, so der Experte, sind sprunghaft geworden. "Es ist heutzutage normal, dass neue Parteien kommen und gehen. Man soll sich nicht der Illusion hingeben, dass man etwas sagen, schreiben oder beschließen kann, das dann dazu führt, dass die AfD wieder verschwindet." Wichtiger sei es, geschlossen und stringent aufzutreten sowie den Fokus auf Inhalte und Lösungen zu wahren.
Von Timo Tonassi
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