In fast allen westeuropäischen Ländern haben rechtspopulistische, anti-europäische und einwanderungsfeindliche Parteien in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen. Allein in diesem Jahr sind zwei Parteien vom rechten Rand in Regierungskoalitionen eingezogen: Die griechische „Anel“ wurde im Januar zum Juniorpartner der linkspopulistischen "Syriza", während die „Wahren Finnen“ im Mai der liberalkonservativen Allianz von Premierminister Juha Silipä beigetreten sind.
Bereits bei der Europawahl im Mai 2014 hatten viele Medien von einem „politischen Erdbeben“ gesprochen, als rechtspopulistische Parteien wie "Front National" in Frankreich, die Dänische Volkspartei und die UKIP in Großbritannien rund ein Viertel aller Wählerstimmen erzielten und zumindest für diese Wahl zur jeweils stärksten politischen Kraft im Land aufstiegen.
Auch in Deutschland beschäftigen sich Medien und politische Stiftungen bei Diskussionsrunden, auf Fachtagungen und in Publikationen intensiv mit der Frage, wie man den Populisten den Wind aus den Segeln nehmen kann – und das, obwohl sich die "Alternative für Deutschland" (AfD) Umfragen zufolge immer weiter von den Erfolgen ähnlicher Parteien in anderen Ländern entfernt.
Erfolge der Rechtspopulisten überschätzt?
Viele etablierte Parteien in Europa warnen derzeit vor einer "populistischen Welle". Bei einem Expertengespräch für Journalisten, zu dem der MEDIENDIENST kürzlich einlud, bezeichnete Cas Mudde, Politikwissenschaftler an der University of Georgia (USA) und einer der renommiertesten Experten für Extremismus- und Populismusforschung, diese Haltung als kontraproduktiv. Denn dadurch nähmen etablierte Parteien eine defensive Haltung gegenüber Populisten an, was dazu führe, dass diese an Sichtbarkeit und Einfluss gewinnen.
Das Ergebnis der Europawahl als „Erdbeben“ oder gar „Triumph“ des rechten Rands zu bezeichnen, sei irreführend, so Mudde: Zum einen beschränkte sich der Erfolg dieser Parteien auf wenige Länder, in den Niederlanden ging ihr Stimmenanteil sogar zurück. Zum anderen konnten sie keine eigene Gruppe innerhalb des Europäischen Parlaments bilden, was ihren Einfluss auf die ohnehin eingeschränkte Entscheidungskraft der EU deutlich verringert.
Eine Analyse des Online-Verhaltens rechtspopulistischer Bewegungen, die kürzlich von der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde, zeigt außerdem: Vertreter antieuropäischer und rassistischer Ansichten sind zwar in Europa sehr lautstark, bilden jedoch meistens nationale Gruppen mit wenig Kontakt zu Gleichgesinnten in anderen Ländern. Sie bleiben somit weitgehend isoliert.
Parteipolitik allein reicht nicht als Gegenstrategie
Das heißt jedoch nicht, dass Rechtspopulisten keinen Einfluss auf Politik und Gesellschaft ausüben. Ihr Einfluss lässt sich laut Mudde weniger in der institutionellen Politik als vielmehr im politischen Diskurs über bestimmte Themen messen.
Am deutlichsten ist der Einfluss der populistischen EU-Gegner auf dem Gebiet der Einwanderungs- und Asylpolitik spürbar, wie die Konrad Adenauer Stiftung in einem kürzlich veröffentlichten Bericht analysierte. Die Populisten würden tatsächliche oder behauptete Missstände instrumentalisieren und regierende Parteien dazu zwingen, ihren Forderungen nachzugehen. So sprach sich zum Beispiel der sozialistische Premierminister Frankreichs Manuel Valls im Zuge der Wahlerfolge des Front National für eine strenge Einwanderungskontrolle aus.
Mudde betonte beim Expertengespräch: Diese Strategie greift nur, wenn sie auf Einstellungen basiert, die von vielen Bürgern geteilt werden. In diesem Sinne böten die Rechtspopulisten nichts anderes als eine „radikale Interpretation“ eines weit verbreiteten, migrationsfeindlichen Gedankenguts an. Insofern spiegeln die Wahlergebnisse der Rechtspopulisten nicht unbedingt das Ausmaß ihres Einflusses auf die Gesellschaft wider.
Für Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld und Herausgeber der Studie "Fragile Mitte – feindselige Zustände", der ebenfalls als Experte an dem Gespräch teilnahm, gilt das besonders für Deutschland: Rassistische Einstellungen würden hier keineswegs von einer einzigen Partei verkörpert, sondern unter anderem im Internet (Politically Incorrect) und auf der Straße (Pegida) Ausdruck finden. Die Frage, wie man mit Rechtspopulisten umgehen sollte, könne man demnach nicht aus einer rein parteipolitischen Perspektive beantworten.
Mehr Partizipation bedeutet weniger Radikalisierung
Vor allem würden Rechtspopulisten Menschen ansprechen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen – Menschen, die sich schwach fühlen und gerne stark wären, so Zick. Auch zögen viele von ihnen eine autoritäre Führung der Demokratie vor. Es sei also nicht überraschend, dass sich hinter dem Schleier einer angeblich liberal-konservativen „Bürgerbewegung“ rechtsextremistische und menschenverachtende Einstellungen verbergen.
Darin sieht Extremismus-Experte Hajo Funke die größte Gefahr, die aus der rechtspopulistischen Szene hervorgeht: Im Schatten von Gruppierungen wie Pegida machten sich zum Beispiel Rechtsextremisten breit, die versuchten, die Ressentiments gegenüber Einwanderern und Asylsuchenden zu radikalisieren, so Funke beim Gespräch des MEDIENDIENSTES. Auch würden die Anführer der Bewegung ihre rassistische und menschenverachtende Grundeinstellung keineswegs verbergen.
Um zu verhindern, dass sich radikale Positionen in der Einwanderungs- und Integrationsdebatte verstärken, rät Funke: „Man muss die Bürger, die sich von der Politik abgehängt fühlen, integrieren. Das heißt, ihnen ihre Ängste nehmen, mit ihnen kommunizieren und sie stärker an den Entscheidungsprozessen beteiligen.“
Von Fabio Ghelli
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