Im Wahlprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) zur Europawahl 2014 heißt es zum Thema Einwanderung: „Die AfD tritt für ein offenes und ausländerfreundliches Deutschland ein und bejaht sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit“. So sei eine „qualifizierte Zuwanderung“ erforderlich, am besten wenn sie durch ein „Punkte-system nach kanadischem Vorbild“ reguliert wird. Auch humanitäre Hilfe für Kriegsflüchtlinge sei dem Programm nach „unbedingt zu gewährleisten und zu verbessern“.
Das Wahlprogramm für die Landtagswahl in Sachsen, das fast zeitglich veröffentlicht wurde, spricht eine ganz andere Sprache. Da fordert die Partei unter den Punkten Zuwanderung und Integration unter anderem:
- "So viel Zuwanderung wie nötig, aber so viel Familienförderung und Qualifikation wie möglich!"
- "Aufnahme von Asylanten nach unseren Möglichkeiten"
- "Keine Unterstützung für Integrationsfolklore"
- "Volksabstimmungen über Moscheebauten mit Minaretten".
Das entspricht eher der Mischung von "Ausländerfeindlichkeit" und "Chauvinismus", die die Autoren der Studie „Die stabilisierte Mitte“ bei jedem zweiten bzw. jedem dritten AfD-Wähler feststellen konnten. Auch der Spitzenkandidat der Partei in Thüringen Björn Höcke macht keinen Hehl daraus, dass er den „gewaltigen ethnischen sowie kulturellen Transformationsprozess“ durch Einwanderung aufhalten will. In einem vielfach zitierten Interview mit dem rechts-konservativen Magazin "Blaue Narzisse" sagte Höcke, dass er sich nicht wünscht, dass Europa irgendwann „ein vom Islam dominierter Kontinent wird“.
Dabei spricht Höcke eine unter seinen Wählern weit verbreitete Meinung aus: 82 Prozent der AfD Anhänger sind nach einer Umfrage des Sterns der Meinung, dass der Islam nicht zur deutschen Gesellschaft gehöre. Kein Wunder also, dass die Partei bei den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern mit dieser Botschaft gepunktet hat: 9,7 Prozent holte die Partei in Sachsen, 10,6 in Thüringen, 12,2 in Brandenburg. Nun steht die Frage im Raum, ob das nur der Anfang eines bundesweiten Phänomens ist.
Wenn Wähler "auf den Putz hauen"
Der Geschäftsführer der "Forschungsgruppe Wahlen" Matthias Jung glaubt nicht daran. Denn ähnliche spontane Parteierfolge gab es in der Geschichte der Bundesrepublik häufiger: „Als zwei rechtsextreme und ausländerfeindliche Parteien wie die Republikaner und die Deutsche Volksunion (DVU) Anfang der 90er Jahren in mehrere Landtage einzogen, dachten viele, die deutsche Parteilandschaft stehe vor einem Umbruch. Doch es kam anders“, sagte Jung dem MEDIENDIENST.
1992 erreichte die DVU mit 6,3 Prozent den Einzug ins Landesparlament in Schleswig-Holstein. Den Republikaner gelang dies mit 10,9 in Baden-Württemberg. Der Grund dieses unerwarteten Erfolges lag zum Teil in der Asyldebatte der frühen 90er Jahren. 1992 hatte die Zahl der Asylbewerber die Höchstmarke von 438.000 Menschen erreicht. „Ähnlich wie heute machten sich die Wähler damals Sorgen wegen der steigenden Flüchtlingszahlen“, sagt Jung. „Viele von ihnen suchten nach einem Ventil für ihre Unzufriedenheit."
Nach den Gründen dieser Unzufriedenheit gefragt, nannten die meisten Wähler in der ökonomisch unsicheren Zeit 1992 laut Umfragen das Thema "Asyl und Ausländer". Der Wahlerfolg der Rechtsextremen löste also eine Debatte über die Versäumnisse der regierenden Unionsparteien aus. Kurz darauf erreichten CDU/CSU und die SPD den so genannten „Asylkompromiss“, wodurch die Regeln für die Aufnahme neuer Flüchtlinge deutlich verschärft wurden.
„Damals hat sich ein Muster etabliert, das später zum Erfolg anderer Parteien führte, wie zum Beispiel der Schill-Partei in Hamburg“, sagt Jung. „Bei einer gefühlt unwichtigen Wahl – Landeswahl oder Europawahl – beschließen einige Menschen, ‘auf den Putz zu hauen’, damit sich etwas bewegt. Die etablierten Parteien sind dann gezwungen, auf den Erfolg der Protestparteien zu reagieren.“
Keine Garantie für dauerhaften Erfolg
Vergleicht man die Wähler der AfD bei den jüngsten Landtagswahlen mit denen der Republikaner im Jahr 1992, lassen sich tatsächlich signifikante Ähnlichkeiten feststellen: So sind beide Wählerschaften überwiegend männlich und relativ jung (18 bis 34 Jahre). Dieser zweite Aspekt ist besonders relevant, denn bei der Bundestagswahl kamen die meisten AfD-Wähler aus der Altergruppe der 45- bis 60-Jährigen.
Auch scheinen nur die wenigsten Wähler der AfD sowie der Republikaner sich mit dem Programm der Partei zu identifizieren – ein typisches Merkmal der Protestwähler, wie die Wahlforscherin Viola Neu in einer Wahlanalyse für die Konrad Adenauer Stiftung schreibt. So kamen die meisten AfD-Wähler aus sehr unterschiedlichen Partei-Richtungen: In Sachsen hatten 15.000 von ihnen bei vorherigen Wahlen die Linke gewählt, 13.000 die rechtsradikale NPD.
"Beide Parteien haben außerdem bewusst die Rolle der Außenseiter angenommen, die gegen das politische 'Establishment' kämpfen", sagt Wahlforscher Jung. "Dabei hat ihnen vor allem die – oftmals sehr negative – Berichterstattung der Medien geholfen. Denn dadurch konnten sie sich als Kämpfer gegen die politisch-mediale Elite profilieren."
Doch der Erfolg einer Protestpartei ist meistens kurz. Sobald die etablierten Parteien auf den "Denkzettel" der Protestwähler reagieren, verpufft das Protest-Potential: Bei der Bundestagswahl 1994 holten die Republikaner magere 1,9 Prozent. Die DVU trat gar nicht erst an. Während die Republikaner seit den 90er Jahren keine bedeutsame Erfolge erzielten, zog die DVU 1998 und 1999 in die Landtage von Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Auf Bundesebene blieben die zwei Parteien jedoch unbedeutend.
Von Fabio Ghelli
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