MEDIENDIENST: Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat kürzlich einen Teil des umstrittenen "Muslim Ban" bestätigt. Demnach dürfen Menschen aus sechs mehrheitlich muslimischen Ländern, die keine Verwandten in den USA haben, nicht einreisen. Wie sieht America's Voice diese Entscheidung?
Frank Sharry: Wir sind zutiefst enttäuscht. Mehrere Bundesgerichte hatten geurteilt, dass sich beim "Muslim Ban" um eine Maßnahme handelt, die das Ziel hat, Menschen aus muslimischen Ländern fernzuhalten. Das wurde auch von Präsident Donald Trump mehrmals bestätigt. Das heißt, es handelt sich dabei um eine diskriminierende Maßnahme. Im Herbst wird der Oberste Gerichtshof sein endgültiges Urteil sprechen. Wir hoffen immer noch, dass die Richter im Sinne unserer Verfassung entscheiden werden – also gegen jegliche Form der Benachteiligung aufgrund der Religion.
Trump hatte im Wahlkampf weitere Maßnahmen angekündigt, die weltweit für Empörung gesorgt haben: eine Mauer an der Grenze zu Mexiko und Massenabschiebungen. Davon scheint jedoch wenig übrig geblieben zu sein. Hat sich in der Migrationspolitik weniger geändert als befürchtet?
Das stimmt so nicht. Es ist richtig, dass einige der angekündigten Reformen de facto keine Wirkung gezeigt haben. So gibt es bis jetzt keine konkreten Projekte für eine Mauer an der südlichen Grenze. Das gesellschaftliche Klima hat sich aber geändert – und das bekommen Migrantenfamilien derzeit sehr stark zu spüren.
Inwiefern?
In den ersten Monaten seit Trumps Amtsantritt stieg die Zahl der sogenannten Illegalen, die festgenommen wurden um abgeschoben zu werden: Rund 41.300 Menschen wurden in den ersten 100 Tagen nach Trumps Amtsantritt in Haft genommen. Das sind 38 Prozent mehr Menschen als im Vorjahreszeitraum. Obwohl Trump wiederholt gesagt hat, dass die Behörde nur „Bad Hombres“ (Böse Männer) festnehmen würden, war mehr als ein Viertel von ihnen nicht vorbestraft.

FRANK SHARRY ist Gründer und Direktor der Migranten-Organisation "America's Voice". Seit 2008 setzt sich "America's Voice" für eine umfangreiche Reform der US-amerikanischen Einwanderungsgesetze ein. Sharry hat diesbezüglich sowohl Mitglieder der Bush- als auch der Obama-Regierung beraten.
Auch die Obama-Regierung hat viele Abschiebungen durchgeführt ...
Das stimmt: Unter der Regierung Obamas wurde mehr abgeschoben als je zuvor. Dabei handelte es sich jedoch zu 85 Prozent um Neuzugewanderte und zu 90 Prozent um Vorbestrafte. Die Trump-Regierung nimmt hingegen Menschen ins Visier, die seit Jahrzehnten in den USA leben. Was viele nicht wissen: Von den elf Millionen sogenannten Illegalen, die in den USA leben, hält sich die große Mehrheit bereits seit mehr als zehn Jahren im Land auf. Ein Drittel von ihnen sind Hauseigentümer!
Wie wirkt sich diese neue Abschiebungspolitik auf die Migranten-Communities aus?
Millionen Einwandererfamilien sind in Panik. In den meisten Familien leben Menschen mit unterschiedlichen Aufenthaltsstatus zusammen – legale und illegale Einwanderer. Das heißt: Diese Familien können in jedem Moment auseinandergerissen werden. Wir haben von vielen Eltern gehört, die verzweifelt Vormünder für ihre Kinder suchen. Sie haben Angst, in eine Razzia zu geraten und in Haft zu kommen. Viele haben bereits angefangen, ihre Häuser und Autos zu verkaufen.
Sind die Amerikaner mit dieser Politik einverstanden?
Nein. Unseren Umfragen zufolge sind 80 Prozent der Amerikaner gegen Massenabschiebungen und für eine Reform, die den elf Millionen „Illegalen“ einen Weg in die Legalität anbieten würde. Das Problem ist: Trumps stärkste und lauteste Unterstützer gehören derzeit zum restlichen 20 Prozent – rechtsradikale Migrations-Gegner.
Wie kann es sein, dass so viele Amerikaner gegen Trumps Migrationspolitik sind? Er hatte bereits im Wahlkampf einen harten Kurs gegen "illegale" Einwanderer angekündigt – und damit die Wahl gewonnen.
Viele Amerikaner, die Trump gewählt haben, teilen seine radikalen Einstellungen nicht. Sie nahmen seine Aussagen ernst, aber nicht wörtlich. Jetzt stellt sich heraus, dass er seine Ankündigungen wörtlich meinte. Das ist unter anderem ein Grund, warum seine Umfragewerte derzeit so schlecht sind.
Wie geht die Republikanische Partei damit um?
Ich kenne persönlich mehrere republikanische Abgeordnete wie den Sprecher des Repräsentantenhauses Paul Ryan, deren Einstellungen zum Thema Einwanderung im völligen Widerspruch zu Trumps Politik stehen. Etwa ein Viertel aller republikanischen Abgeordneten sind eigentlich für eine offene Migrationspolitik. Das Problem ist, dass sie durch Trumps aggressive Haltung zum Schweigen gebracht wurden.
Zehntausende Bürger sind gegen das Einreiseverbot für Muslime auf die Straße gegangen. Inwiefern können diese Proteste Trumps Einwanderungspolitik beeinflussen?
Wir waren sehr verwundert über die Dimension und Intensität der Proteste gegen den „Muslim Ban“. Muslime bilden nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Wie kam es also dazu, dass so viele Menschen zu den Flughäfen und auf die Straßen gegangen sind, um gegen das Einreiseverbot zu protestieren? Unser Eindruck ist, dass durch das „Muslim Ban“ Trump gegen ein Grundprinzip unseres Staates verstoßen hat: Amerika ist kein Staat, der Menschen aufgrund ihrer Religion abweist. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen, die überhaupt nicht vom „Muslim Ban“ betroffen waren, sich trotzdem den Protesten angeschlossen haben.
Heißt das, dass Trumps Politik die Pro-Einwanderungs-Fraktion gestärkt hat?
Gewissermaßen ja. Während Trump mit seiner Einwanderungspolitik eine rabiate Anti-Einwanderungs-Minderheit anspricht, wächst die Zahl derjenigen, die diese Einwanderungspolitik ablehnen. Wir sehen zum Beispiel, dass Muslime in den USA derzeit viel Unterstützung von Nicht-Muslimen erhalten, nachdem sie lange als Bedrohung angesehen wurden. Auch positionieren sich zunehmend Lokal- und Stadtregierungen gegen Trumps Einwanderungspolitik – unter anderem sehr prominente Bürgermeister wie etwa Eric Garcetti in Los Angeles und Bill De Blasio in New York.
Interview: Fabio Ghelli
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