In Amerika gibt es irreguläre Einwanderung im großen Stil seit den 1960er Jahren. Durch den „Immigration and Nationality Act“ von 1965 wurde die Einwanderung nach Amerika zum ersten Mal numerisch begrenzt. Für Süd- und Mittelamerika wurde sie auf 20.000 Menschen pro Land und 120.000 Menschen insgesamt festgelegt. Im Jahr davor hatte man das sogenannte Bracero-Programm beendet, mit dem jedes Jahr rund 250.000 mexikanische Agrar-Arbeiter zeitlich begrenzt ins Land gelassen wurden. Die neue Begrenzung der Einwanderungszahlen und die ungebrochene Nachfrage nach billigen Arbeitskräften führten dazu, dass hunderttausende Saisonarbeiter plötzlich zu sogenannten „Illegalen“ wurden.Quelle
Nachdem die Zahl der irregulären Einwanderer in den folgenden Jahrzehnten weiter anstieg, versuchte man ihr ab den 1980er Jahren vor allem mit militärischen Mitteln zu begegnen: Mit dem „Immigration Reform and Control Act“ von 1986 wurde das Grenzpersonal um 50 Prozent aufgestockt. 1996 wurden durch den „Illegal Immigration Reform and Immigrant Responsibility Act“ die Mittel zur Sicherung der Grenze zu Mexiko von einer auf fünf Milliarden Dollar erhöht. Zudem versuchte die „United States Border Patrol“ durch verschiedene Operationen Stärke in ausgesuchten Grenzregionen zu demonstrieren – und dort beliebte Einwanderungsrouten zu zerschlagen. Doch war und ist es finanziell unmöglich, die gesamte Grenze zu bewachen. Oft verlagerten die Routen sich lediglich, worauf man auf amerikanischer Seite nur selten schnell genug reagieren konnte.
Überhaupt schreckten die Grenzsicherungsmaßnahmen „illegale“ Einwanderer nicht auf die gewünschte Weise ab: Durch die erhöhten Sicherungsmaßnahmen wurden die Grenzüberschreitung immer gefährlicher, die Preise für Schleuser immer höher. Viele versuchten deshalb nicht mehr – wie zuvor üblich – in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, sondern ihre Familien nachzuholen und dauerhaft in den USA zu bleiben. Auch aufgrund solcher konzeptionellen Fehler stieg die Zahl irregulärer Einwanderer weiter an.
Ab Mitte der 1990er Jahre wurde das Motto „prevention through deterrence” (Prävention durch Abschreckung) offiziell als Grenzschutzstrategie eingeführt. Ganze Landstriche wurden mit Bulldozern bearbeitet, um sie mit Straßen für die Grenzpolizei, Zäunen und Lichtanlagen bebauen zu können. Dennoch stieg die Zahl der sogenannten "illegal aliens" 2007 auf ein Rekordhoch von 12,2 Millionen Menschen.
Viele Grenzsicherungstechnologien waren kostspielig und uneffektiv
Ohnehin kann und konnte ein bedeutender Teil der irregulären Einwanderung in die USA nicht durch Zäune und Barrieren unterbunden werden: 40 bis 50 Prozent aller irregulären Einwanderer reisen legal ein und werden erst nach Ablauf ihrer Visa "illegal". Doch der Glaube an Grenzsicherung als Universallösung blieb bestehen. Insbesondere die Terroranschläge vom 11. September steigerten das amerikanische Bedürfnis nach sicheren Grenzen massiv: Berechnungen von 2015 zufolge haben die USA seit 2001 insgesamt etwa 208 Milliarden Dollar für Grenzschutz ausgegeben. Derzeit liegt der Jahresdurchschnitt für Grenzschutzausgaben bei 18,3 Milliarden Dollar. Zwischen 2005 und 2012 sind 573 Meilen neuer Grenzzaun entstanden. Und die „United States Border Patrol“ zählt über 20.000 Angestellte.
Besonders die Regierung Bush (2001-2009) vergab im Zuge der „Secure Border Initiative“ erhebliche Großaufträge an die amerikanische Rüstungsindustrie, die Radarsysteme, Sensoren und Flugkörper zur Kontrolle der Grenze herstellte. So wurde beispielsweise rund eine Milliarde Dollar in einen solchen virtuellen Grenzzaun investiert, der jedoch von Auftragnehmer Boeing nie zufriedenstellend fertiggestellt wurde – Anfang 2011 wurde das Programm eingestellt.Quelle
Was kann Europa von der US-Grenzschutzpolitik lernen?
Zwar war die Zahl der „illegalen“ Einwanderer zwischen 2007 und 2012 um rund eine Million Menschen gesunken. Auch die Grenzpolizei verzeichnete deutlich weniger Versuche irregulärer Grenzübertritte. Unklar ist jedoch, inwiefern sich die gesunkenen Zahlen tatsächlich auf die Grenzschutzmaßnahmen oder aber auf andere Faktoren, wie zum Beispiel die Wirtschaftskrise, zurückführen lassen. Zudem blieb die geschätzte Gesamtzahl der „illegalen“ Einwanderer trotz aller Investitionen mit 11,2 Millionen Menschen auch im Jahr 2012 extrem hoch. 2014 ist sie mit 11,3 Millionen wieder leicht angestiegen.
Das Migrationsgeschehen in den USA lässt sich nur schwer mit der Flüchtlingskrise in Europa vergleichen. Zu unterschiedlich sind die Faktoren, die Menschen zur Auswanderung veranlassen oder zum Verbleib im Aufnahmeland motivieren. Auch Vergleiche von „Homeland Security“ und „Frontex“ sind angesichts der finanziellen und strukturellen Unterschiede kaum möglich. Das Beispiel USA zeigt aber: Ein alleiniger Schutz von Außengrenzen kann irreguläre Einwanderung nicht verhindern. Darüber hinaus können unerwartete Effekte eintreten: Denn militarisierte Grenzen, die illegalen Aktivitäten eigentlich entgegenwirken sollen, ziehen neben ihren hohen Kosten oft noch andere Probleme – zum Beispiel eine professionelle Schleuserindustrie – nach sich.
Von Timo Tonassi
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