Ende April veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Bericht, wonach deutsche Behörden mit einer "Flut von Kindergeldanträgen aus Osteuropa" zu rechnen hätten. Andere Medien wie Spiegel Online übernahmen das und rechneten "eine Milliarde Euro für Wanderarbeiter" vor. Darin hieß es unter anderem, das Bundesfinanzministerium habe mitgeteilt, dass sich 30.000 unbearbeitete Kindergeldanträge bei den Familienkassen stauen. Grund dafür sei, dass in den letzten Jahren die Anträge von EU-Saisonarbeitern hinzugekommen seien. Dem widerspricht die Tatsache, dass die Ausgaben für Kindergeld und damit die Anträge insgesamt in den letzten Jahren gesunken sind (siehe Zahlen weiter unten).
Doch wenige Tage vor der anstehenden Europawahl greifen Bundestagspolitiker der CSU das Thema auf und fordern eine "schnelle Änderung der deutschen und gegebenenfalls europäischen Gesetzeslage", konkret: eine Anpassung der Kindergeldhöhe an die Lebenshaltungskosten im Herkunftsland. Der Vorstoß der CSU-Politiker widerspricht europäischem Recht, wie ein unveröffentlichtes Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags bereits erklärt hat. Er hat demnach keine Aussicht auf Erfolg.
EuGH-Urteil zu Saisonarbeitern
Worum geht es? EU-Bürger haben das gleiche Anrecht auf Kindergeld wie Einheimische – das gilt auch dann, wenn die Kinder nicht in Deutschland leben. In der entsprechenden Verordnung der Europäischen Union heißt es: "Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden."
Voraussetzung dafür ist, dass die Antragsteller einen festen Wohnsitz in Deutschland haben. 2012 wurde der Anspruch konkretisiert: Auch Saisonarbeiter, die einkommenssteuerpflichtig in Deutschland arbeiten, können Kindergeld beantragen. Das erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Sommer 2012, nachdem die Familienkasse zwei polnischen Saisonarbeitern das Kindergeld verweigern wollte.
Der Wohnort allein ist nicht entscheidend, erklärte damals der EuGH, sondern auch die "Anknüpfung [...] an das deutsche Hoheitsgebiet". Und das sei durch die geleisteten Sozialabgaben gewährt. Wenn ein Elternteil im Herkunftsland bereits Kindergeld nach dortigem Recht bezieht, beschränkt sich der Anspruch auf die eventuelle Differenz zum deutschen Kindergeld. Quelle
Starke Übertreibung der Kosten
Grünenpolitikerin Franziska Brantner fragte das Bundesfinanzministerium nach den finanziellen Folgen des Urteils. Aus der schriftlichen Antwort, die dem Mediendienst vorliegt, geht hervor: Die Ausgaben für Kinder im Ausland haben zugenommen. Doch anders als im FAZ-Artikel dargestellt, handelt es sich keineswegs um "Milliarden": Für die Jahre 2008 bis 2011 seien rückwirkend 400 Millionen Euro für Kinder von EU-Bürgern im Ausland ausgegeben worden, in 2012 weitere 200 Millionen.
Die Summe relativiert sich, vergleicht man sie mit den Gesamtkosten: Von 2010 bis 2013 haben die Familienkassen bundesweit rund 38,5 Milliarden Euro Kindergeld pro Jahr ausgegeben. Insgesamt sind die Ausgaben seit 2010 (38,8 Milliarden Euro) sogar um rund 300 Millionen gesunken.
Ein Blick auf die Zahlen in Tabelle A-18 im Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses zeigt die Verteilung der Bezüge für Kinder im Ausland: Von den rund 14,4 Millionen Kindergeldberechtigten leben gerade einmal 0,64 Prozent im Ausland (92.000). Hiervon ist jedes vierte ein deutsches Kind im Ausland (23.500). Platz zwei belegen 41.000 Kinder in Polen und Platz drei 3.700 Nachkommen in den Niederlanden.
Von Ferda Ataman, MDI
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