Ende August gab der Bundeswahlleiter die Anzahl der Kandidaten für die diesjährige Bundestagswahl bekannt: Insgesamt treten rund 4.500 Kandidaten an. Davon kommen 2.031 aus den aktuell im Bundestag vertretenen Parteien (CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke). Bereits im Juli hat der Mediendienst Integration eine Recherche zur Anzahl der Kandidaten mit Migrationshintergrund für die diesjährige Bundestagswahl veröffentlicht: Demnach stellt die CSU mit einer Person die wenigsten Kandidaten aus Einwandererfamilien, die Grünen mit 26 Kandidaten die meisten. Insgesamt stehen lediglich vier Prozent aller Kandidaten für die Vielfalt im Land.
Stellt man die Anzahl der Kandidaten mit Migrationshintergrund ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Kandidaten in den einzelnen Parteien, ergeben sich nur leichte Verschiebungen: Mit 7,1 Prozent nehmen Bündnis 90/Die Grünen schon den Spitzenplatz ein – das entspricht etwas mehr als einem Drittel des Anteils von Menschen aus Einwandererfamilien in der Bevölkerung (rund 19 Prozent). Die Linken befinden sich somit auf Platz zwei mit 7,0 Prozent, gefolgt von der SPD (5,4 Prozent). Schlusslichter sind die FDP (2,8 Prozent), CDU (2,7 Prozent) und CSU (1,2 Prozent).
Der Mediendienst hat bei den Parteizentralen nachgefragt, wie sie sich die Tatsache erklären, dass sie noch überwiegend herkunftsdeutsch aufgestellt sind und was sie für die sogenannte interkulturelle Öffnung der demokratischen Organe tun.
Wenig Kandidaten, ... aber auf Spitzenpositionen
In einem Punkt sind sich alle Parteien offenbar einig: Bei der Öffnung für Menschen mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft seien Fortschritte zu erkennen. Trotz der insgesamt geringen Anzahl von Kandidaten mit Migrationshintergrund für die Bundestagswahl besetzten Politiker mit Einwanderungsgeschichte "Spitzenpositionen": Cem Özdemir (Grüne), Philipp Rösler (FDP) und Aydan Özoğuz (SPD) sind nur einige Beispiele, die von den Parteien genannt werden. Zur Frage, wie es zum geringen Anteil von Einwanderern und ihren Nachkommen unter den Bundestagsanwärtern kommt, erhält der Mediendienst auf Nachfrage unterschiedliche Antworten:
CDU
Die Christdemokraten verweisen auf das Verfahren und erklären: Im Vorfeld der Bundestagswahl werde auf kleinen Parteitagen und Nominierungsveranstaltungen in den Wahlkreisen demokratisch entschieden, wer auf einen Listenplatz komme oder eine Direktkandidatur erhalte. Unter den Bewerbern seien "auch einige Mitglieder mit Zuwanderungsgeschichte" gewesen, wie Silvie Nantcha oder Yunus Emre, konnten die Stichwahl aber nicht für sich entscheiden.
SPD
Laut eines Sprechers des Parteivorstandes ist man erfreut, bei der MDI-Aufstellung "im Vergleich zu den anderen Parteien durchaus vorne dabei zu sein". Gleichzeitig verweisen die Sozialdemokraten darauf, dass die interkulturelle Öffnung einer Partei "eine langfristige, fortdauernde Aufgabe" sei. Man hoffe, den Anteil an Kandidaten mit Migrationshintergrund bei den nächsten Wahlen weiter zu steigern. "Das ist uns jedenfalls ein wichtiges Anliegen."
FDP
Der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören, will betont wissen, dass die FPD "keine Partei der starren Quoten" ist. "Gleichwohl nehmen Migranten bei uns in der Partei Spitzenpositionen ein." Zu erwähnen sei etwa Vizekanzler Philipp Rösler sowie fünf Abgeordnete mit Migrationshintergrund in der derzeitigen Bundestagsfraktion und "zahlreiche Migranten in der FDP".
Bündnis 90 /Grüne
Auch die Grünen verweisen in ihrer Antwort auf die Anzahl ihrer Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Bundestag: Sechs Fraktionsmitglieder stammen demnach derzeit aus Einwandererfamilien. "Die Grünen sind schon jetzt Vorreiter bei der Vielfalt in den Parlamenten, während andere noch Aufholbedarf haben", so ihr Sprecher. Man wolle sich damit jedoch nicht zufrieden geben. "Wir setzen uns dafür ein, dass noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Politik kommen."
Die Linke
Die Linke – die einen ähnlich hohen Anteil an Vielfaltskandidaten wie die Grünen vorweisen kann – zeigt sich selbstkritisch: Sie macht deutlich, dass sie den Anteil von Kandidaten mit Migrationshintergrund mit knapp sechs Prozent "zu gering" findet. Die Interessen von Menschen mit Migrationshintergrund könne die Partei aber dennoch "sehr gut vertreten", wie es in der Stellungnahme weiter heißt.
CSU
Die Christlich-Soziale Union in Bayern betont, eine "weltoffene und tolerante Partei" zu sein. Auf verschiedenen Ebenen der Partei engagieren sich Menschen mit Migrationshintergrund – "sie sind uns herzlich willkommen", so ein Sprecher. "Integration funktioniert in keinem Bundesland besser als in Bayern".
Interkulturelle Öffnung in den Parteien
Zudem hat der Mediendienst bei den Bundesparteien nachgefragt, ob und wie sie die interkulturelle Öffnung vorantreiben wollen. Ein konkretes Konzept dazu findet sich genau genommen lediglich bei der SPD. Seit 2011 gibt es eine Selbstverpflichtung des Parteivorstands, einen Mitgliederanteil von 15 Prozent aus Einwandererfamilien vorzuweisen. Auch die CDU erinnert an die Neuaufstellung im Bundesvorstand seit Ende 2012 und zählt vier Mitglieder mit Migrationshintergrund namentlich auf.
Fast alle Parteien verweisen auf interne Arbeitsgruppen oder parteinahe Vereine, die sich mit dem Thema und Fragen zur Migrations- und Integrationspolitik auseinandersetzen und Impulse geben sollen. Seit einigen Jahren beschäftige sich die CDU beispielsweise mit der interkulturellen Öffnung ihrer Partei, indem sie hier "Sonderorganisationen" wie das deutsch-türkische Forum (DTF) und den christlich-alevitischen Freundeskreis (CAF) eingerichtet hat.
Die Linke erklärt, ihr gehe es nicht nur um die interkulturelle Öffnung der Partei, sondern um die "ganz Deutschlands". Die in ihrem Wahlprogramm formulierten migrations- und integrationspolitischen Maßnahmen versteht sie als Beitrag zu diesem Vorhaben.
Von Lea Hoffmann
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