Forscher haben eine repräsentative Studie über Flüchtlinge vorgestellt, die seit 2013 Asyl in Deutschland beantragt haben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) befragten für die Untersuchung 2.300 Menschen. Das Fazit: Die Gruppe der Flüchtlinge ist sehr heterogen im Hinblick auf Biographie, Lebenssituation oder Qualifikationen. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten: Geflüchtete haben eine große Motivation, Arbeit zu finden und sich fortzubilden. Und sie haben ähnliche Wertvorstellungen wie deutsche Staatsangehörige. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
1. Fluchtursachen
Die Angst vor gewaltsamen Konflikten und Krieg ist der Hauptgrund, warum Menschen fliehen. Häufig wurden auch Verfolgung, schlechte persönliche Lebensbedingungen, Diskriminierung, Zwangsrekrutierung sowie die allgemein schlechte wirtschaftliche Situation im Herkunftsland genannt (siehe Grafik). Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Iran geben besonders häufig Verfolgung und Krieg als Fluchtursachen an. Menschen aus Eritrea fliehen oft vor Zwangsrekrutierung und bei Flüchtlingen aus den Westbalkan-Staaten spielen vor allem prekäre persönliche Bedingungen, die schlechte Arbeitsmarktperspektive und Diskriminierung eine Rolle, ergab die Umfrage.
Warum kamen die Befragten gerade nach Deutschland? Als einen Grund nannten 73 Prozent die Erwartung, dass Menschenrechte in Deutschland geachtet werden. Danach kommen das Bildungssystem (43 Prozent) und das Gefühl, in Deutschland willkommen zu sein (42 Prozent).
Der Flucht birgt viele Risiken: Ein Viertel der Befragten hat einen Schiffbruch überlebt, rund 40 Prozent wurden Opfer körperlicher Übergriffe und 15 Prozent der Frauen haben sexuelle Gewalt erlebt.
2. Bildungsqualifikation und Arbeitsmarktzugang
Es gibt mehr gut ausgebildete Flüchtlinge als erwartet, aber auch viele, die nur sehr geringe Bildungsabschlüsse nachweisen können. Im Vergleich zur deutschen Bevölkerung gibt es wenige mit einer mittleren Qualifikation:
- 58 Prozent der Befragten haben zehn Jahre oder länger in Schule, Hochschule sowie in beruflicher Bildung verbracht. Zum Vergleich: In der deutschen Bevölkerung liegt dieser Anteil bei 88 Prozent.
- Jeder zehnte Geflüchtete hat lediglich die Grundschule besucht und weitere neun Prozent gar keine Schule.
Es gibt zwei Hauptgründe für das relativ niedrige Bildungsniveau der Flüchtlinge, erklärte Herbert Brücker vom IAB bei der Studienvorstellung: In Ländern wie Afghanistan, Somalia, Sudan und auch in Teilen Pakistans, die schon seit langer Zeit unter gewaltsamen Konflikten leiden, gebe es häufig kein funktionierendes Schulsystem. Außerdem wiesen diskriminierte Minderheiten häufig ein geringeres Bildungsniveau auf, weil sie einen schlechteren Zugang zu Bildung hätten.
Obwohl 73 Prozent der befragten Migranten bereits gearbeitet haben, kann nur jeder Fünfte einen betrieblichen oder akademischen Berufsabschluss nachweisen. Eine Mehrheit von 66 Prozent der Flüchtlinge strebt einen beruflichen Abschluss an. Viele planen jedoch, zuerst zu arbeiten und sich später weiterzubilden. Und 46 Prozent wollen einen Schulabschluss in Deutschland erlangen.
Zum Zeitpunkt der Befragung waren 14 Prozent in Arbeit. Bei denen, die bereits 2013 zugezogen waren, arbeitet bereits jeder dritte.
3. Werte und Einstellungen
- 96 Prozent der befragten Flüchtlinge bejahen die Aussage, dass "man ein demokratisches System haben sollte" (Im Vergleich: deutsche Staatsangehörige 95 Prozent).
- 96 Prozent befürworten, dass die Regierung frei gewählt wird (Deutsche: 92 Prozent).
- 13 Prozent meinen, Religionsführer sollten letztlich die Auslegung von Gesetzen bestimmen (Deutsche: acht Prozent).
Die Einstellungen Geflüchteter in Deutschland ähneln stärker denen in der Bevölkerung in Deutschland als in ihrem Herkunftsland. Diese Aussage können die Forscher treffen, weil sie ihre Fragen an die World Values Study angelehnt haben, die Menschen in fast 100 Ländern zu ihren Wertvorstellungen befragt.
Die Forscher kündigten weitere Auswertungen und Zusatzanalysen an – etwa zur Religionszugehörigkeit, Familie und zu politischen Einstellungen. Es seien bei weitem noch nicht alle 450 Fragen des Fragebogens bearbeitet worden.
Von Jenny Lindner
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