Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zuversichtlich, dass es möglich ist, viele Asylbewerber „mit guter Bleibeperspektive“ in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Man habe viel aus der Zeit der Gastarbeiter Anfang der 60er Jahre gelernt, sagte Merkel kürzlich in einem Video-Podcast. Nun gelte es, die Fehler von damals nicht zu wiederholen und den neuen Zuwanderern von Anfang an langfristige Perspektiven anzubieten.
Merkels Kabinettmitglieder teilen diese Haltung nur bedingt. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verwies kürzlich in einem Interview darauf, dass die berufliche Integration von Flüchtlingen ein langwieriger Prozess sein wird. Demnach erwarte sie als erste spürbare Auswirkung der gestiegenen Flüchtlingszahlen eine Erhöhung der Arbeitslosenzahl: Das Arbeitsministerium geht davon aus, dass im kommenden Jahr bis zu 460.000 Flüchtlinge Hartz-IV beantragen werden. Die entsprechenden Kosten würden sich auf 1,8 bis 3,3 Milliarden Euro belaufen – sagt Nahles.
Auch die deutschen Wirtschaftsinstitute sind skeptisch:
- Bei einer geschätzten Zahl von 900.000 Asylbewerbern für 2015 und 600.000 für 2016 rechnen einige führende Wirtschaftsexperten in ihrer Herbstprognose mit Mehrausgaben für Unterbringung, Integration und Versorgung im Wert von vier Milliarden Euro in 2015 und elf Milliarden für das kommende Jahr.
- Zugang zum Arbeitsmarkt würden hingegen lediglich 89.000 Asylsuchende in diesem Jahr finden. Nächstes Jahr soll die Zahl auf 295.000 steigen, also rund ein Drittel der diesjährigen Antragsteller.
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) bestätigte kürzlich in einem Bericht, dass der Weg in den Arbeitsmarkt für die meisten Flüchtlinge sehr lang ist:
- Im Zuzugsjahr würden bislang nur acht Prozent aller Asylsuchenden eine Arbeit finden.
- Bis die Hälfte der Antragsteller eine Arbeit gefunden hat, sollen mindestens fünf Jahre vergehen.
- Auch ist ihr Gehalt tendenziell etwa 400 Euro geringer als bei anderen Einwanderungsgruppen.
- Flüchtlinge integrieren sich also deutlich später als Einwanderergruppen in den Arbeitsmarkt – ist das Fazit der IAB-Forscher.
Dies bestätigen auch die jüngsten Statistiken der Bundesagentur für Arbeit: In den letzten Monaten ist die Zahl der Beschäftigten aus Flüchtlings-Herkunftsländern um 8,5 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist aber auch die Zahl der Leistungsempfänger aus diesen Ländern um 24 Prozent gestiegen.
Welche Zugangsmöglichkeiten geflüchtete Menschen zum Arbeitsmarkt haben, hängt maßgeblich von ihrem aktuellen Aufenthaltsstatus ab. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat die rechtliche Lage auf seiner Internetseite zusammengefasst. Erst durch die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 2014 wurde das Arbeitsverbot auf drei Monate reduziert. Ein Arbeitgeber, der einen Flüchtling beschäftigen will, muss jedoch vorher prüfen, ob es Deutsche oder EU-Bürger gibt, die für die Stelle geeignet sind – die sogenannte „Vorrangsprüfung“. Diese entfällt erst nach fünfzehn Monaten nach Ankunft des Asylsuchenden.
Neben der Vorrangsprüfung hindern die lange Bearbeitungszeit für Asylanträge sowie der (bislang) unzureichende Zugang zu Sprachkursen eine berufliche Integration von Flüchtlingen – schreibt der Migrationsforscher Dietrich Thränhardt in einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Ein weiteres Problem sei die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, die in vielen Fällen mehrere Jahre dauern kann.
Die Vorrangprüfung hindert weiterhin viele Flüchtlinge daran, einer Arbeit nachzugehen, denn bevor sie einen Vertrag unterschreiben, müssen sie eine Erlaubnis der Arbeitsagentur erhalten. Im ersten Halbjahr 2015 wurden laut Angaben der Bundesregierung rund 17.400 Arbeitserlaubnis genehmigt und 7.700 abgelehnt. Die Zahl der Ablehnungen hat sich im Vergleich zum Vorjahr damit mehr als verdreifacht. In mehr als der Hälfte der Fälle liegt das an einer erfolglosen Vorrangsprüfung.
Flüchtlinge galten bis jetzt nicht als Arbeitskräfte
Ein weiterer wesentlicher Punkt beim Zugang zum Arbeitsmarkt ist die Frage, welche Qualifikationen die Zuwanderer mitbringen. Doch genau darüber wissen wir sehr wenig, wie aus dem IAB-Bericht hervorgeht. Die "Bundesagentur für Arbeit" führt keine Statistik zur beruflichen Qualifikation von Flüchtlingen. Und auch sonst gibt es nur wenige Untersuchungen zur Frage ihres Ausbildungsgrads.
Das liegt vermutlich daran, dass die Idee, Asylsuchende als Arbeitskräfte zu betrachten, relativ neu ist. Erst im vergangenen Jahr haben das BAMF und die Bundesagentur für Arbeit (BA) das Modellprojekt „Early Intervention“ gestartet, das sich speziell mit der beruflichen Integration von Asylbewerbern beschäftigt. Nach Angaben der BA gegenüber Medien konnten bislang nur wenige Dutzend Asylbewerber durch das Projekt erfolgreich an Arbeitgeber vermittelt werden. Eine vorläufige Bilanz des Projekts, die im März 2015 erschienen ist, zeigt dennoch, dass die Teilnehmer sehr motiviert sind, möglichst schnell eine Arbeit zu finden.
Neben dem „Early Intervention“-Projekt gibt es derzeit mehrere bundesweite, regionale und private Projekte die sich für eine zügige Berufsintegration von Asylsuchenden engagieren:
- Das Arbeitsministerium hat kürzlich eine Website aktiviert, um Flüchtlinge über ihre Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu informieren.
- Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat das Programm „Chancen gestalten – Wege der Integration in den Arbeitsmarkt öffnen“ gestartet, um Flüchtlinge entsprechend ihrer Qualifikation in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
- Das private Projekt Workeer hat eine Online-Jobbörse spezifisch für Flüchtlinge ins Leben gerufen.
Obwohl eine Prognose über die Entwicklung der Arbeitsperspektiven für Flüchtlinge nahezu unmöglich ist, werden sich solche Projekte mit Sicherheit auf ihre berufliche Integration auswirken, sagt Christian Pfeffer-Hoffmann, der die Fachstelle Einwanderung beim IQ-Netzwerk koordiniert. Die aktuelle Situation berge jedoch auch einige Risiken: "Nach den vorhandenen Erkenntnissen können viele Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, nicht entsprechend ihren beruflichen Kompetenzen sofort im Arbeitsmarkt Fuß fassen. Das bedeutet, dass viele von ihnen – möglicherweise weil ihre Qualifikationen formell nicht anerkannt werden – in den Niedriglohnsektor gezwungen werden könnten.“ Es sei deshalb extrem wichtig, dass die Kompetenzen der Flüchtlinge möglichst schnell geprüft werden.
Flüchtlinge seien außerdem keine undifferenzierte Masse, sagt Pfeffer-Hoffmann: „Je nach persönlichem Hintergrund und Herkunftsland bringen Menschen sehr unterschiedliche Stärken und Schwächen mit. Eine gelungene Integrationspolitik sollte einem eritreischen Jugendlichen ebenso wie einem erfahrenen Tischler aus Syrien die Möglichkeit geben, ihr Potential zu nutzen."
Von Fabio Ghelli
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