Es ist schwierig, gute Prognosen für die Zukunft des deutschen Arbeitsmarktes zu treffen. Entscheidend dafür ist unter anderem die demografische Entwicklung: Wie viele Menschen werden geboren, wie viele sterben und wie viele kommen neu hinzu. Aber auch die Konjuktur oder strukturellen Bedingungen in der Wirtschaft spielen eine Rolle.
Die Bertelsmann Stiftung hat eine Studie in Auftrag gegeben und ließ berechnen, wieviel Einwanderung Deutschland bis 2050 braucht, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten. Grundlage für die Prognose ist hier das "Erwerbspersonen-Potential", also die Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und einer "Stillen Reserve". Damit lasse sich "das maximale Angebot an Arbeitskräften" in einem Land abmessen. Die Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Coburg gehen demnach davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im Durchschnitt 45 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter braucht. Diese Ergebnisse bestätigen die Arbeitsmarktprognose 2030 durch das Forschungsinstitut "Economix".
Ausgehend von der derzeitigen Bevölkerungsentwicklung könne diese Zahl auf dem Arbeitsmarkt nicht gehalten werden, so die Studienmacher. Selbst wenn mehr Frauen arbeiten und das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre angehoben wird, sei Deutschland immer noch auf Migration angewiesen. Wie also ist es möglich, dieses Niveau auch in Zukunft zu halten? Die Forscher berechnen Folgendes:
- In den letzten 60 Jahren sind im Durchschnitt pro Jahr 200.000 Menschen eingewandert. Bleibt die Einwanderung auf diesem Niveau, gebe es im Jahr 2050 rund acht Millionen weniger Erwerbsfähige als heute.
- Im unwahrscheinlichen Fall, dass gar keine Einwanderer mehr nach Deutschland kommen, gebe es dann sogar 16 Millionen weniger Menschen, die in Deutschland arbeiten könnten.
Woher sollen die Einwanderer kommen? Die Mehrheit der Zuwanderer kommt derzeit aus EU-Ländern. 2013 waren es rund 300.000 Menschen und damit über 60 Prozent aller Einwanderer. Doch nach der Einschätzung der Experten wird diese Zahl in Zukunft sinken, denn
- Die Bevölkerung wird auch in anderen EU-Ländern immer älter.
- Sobald sich die sogenannten „Krisenländer“ in Südeuropa wirtschaftlich erholt haben, werden weniger Menschen von dort auswandern.
- Die hohe Zuwanderung aus den neuen Beitrittsländern Bulgarien und Rumänien wird in ein paar Jahren auf ein deutlich niedrigeres Niveau sinken.
Die Forscher gehen also davon aus, dass sich die Migrationsbewegungen zwischen den EU-Ländern auf einem ausgeglichenen Niveau einpendeln, wie in früheren Jahren. Demnach würden in Zukunft durchschnittlich nur noch zwischen 42.000 und 70.000 EU-Bürger nach Deutschland einwandern. Damit wird deutlich, dass Einwanderer aus Drittstaaten für den deutschen Arbeitsmarkt immer wichtiger werden.
Bisher sind Einwanderer, die nicht aus der EU kommen, in der Minderheit: Unterm Strich kamen 2013 rund 140.000 Neubürger nach Deutschland. Wie aus einer weiteren Bertelsmann Studie vom März 2015 hervorgeht, kam der größere Teil von ihnen nach Deutschland, um hier zu studieren (14 Prozent), als Familienangehöriger nachzuziehen (15 Prozent) oder um als Flüchtling Asyl zu beantragen (19 Prozent). Lediglich eine Minderheit wanderte in erster Linie zum Arbeiten nach Deutschland ein: Nur knapp neun Prozent aller Einwanderer aus nicht-EU-Ländern besaßen einen Titel zur Erwerbstätigkeit.
In verschiedenen Berechnungsszenarien zeigt die Studie zum "Zuwanderungsbedarf aus Drittstaaten in Deutschland bis 2050", dass bis dahin zwischen 276.000 und 491.000 Menschen aus Drittstaaten einwandern müssten, um das aktuelle Niveau der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland halten zu können.
Um Deutschland für Einwanderer attraktiv zu machen, seien konkrete Maßnahmen nötig. Die Forscher sprechen folgende Empfehlungen aus:
- Es sollte einfacher werden, aus einem Drittstaat nach Deutschland einzuwandern – auch für Menschen mit mittleren Qualifikationen.
- Durch aktive Integrationspolitik könne man Migranten besser im Land halten: So sei es wichtig, ausländische Absolventen dabei zu unterstützen, sich schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
- Jugendlichen aus Drittstaaten sollten leichter eine Ausbildung absolvieren und in Deutschland bleiben können.
Die Forderungen überschneiden sich mit Aussagen von Wissenschaftlern des "Rats für Migration" über eine Reform des Zuwanderungsrecht. Der Mediendienst hat die Positionen von Parteien und Experten zur Debatte über ein neues "Einwanderungsgesetz" in einem Informationspapier zusammengefasst.
Von Jenny Lindner
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