MEDIENDIENST: Frau Foroutan, das bisherige Bundesinnenministerium wird künftig um ein "Heimatministerium" ergänzt. Was halten Sie davon?
Naika Foroutan: Es kommt darauf an, wie man es mit Leben füllt. Wenn dieses Ministerium die Aufgabe hat, die regionalen Ungleichheiten etwa zwischen Stadt und Land strukturell auszugleichen, dann halte ich das für sehr sinnvoll. Wenn sie an Deutschland denken, dann haben viele nur Metropolen wie Berlin, Hamburg, Frankfurt und München im Kopf. Dabei besteht Deutschland hauptsächlich aus vielen kleinen und mittelgroßen Städten. Durch ein eigenes Ministerium, das dafür zuständig ist, findet eine Aufwertung der Regionen statt und man macht sichtbar, dass Deutschland auch regional gesehen bunt und vielfältig ist. Aber mir ist klar, dass sich hinter dem Heimatbegriff auch die Idee verstecken kann: Wir geben euch euer altes Deutschland wieder zurück. Ein Deutschland ohne diese verwirrende Vielfalt.
Prof. Dr. NAIKA FOROUTAN ist Professorin für Integrations-forschung und Gesellschafts-politik an der Humboldt-Universität zu Berlin und stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Islam- und Muslimbilder in Deutschland.
Kritiker sagen, Heimat sei ein ausgrenzendes Konzept, schlimmer: ein Begriff der Gegenaufklärung und der Irrationalität. Was meinen Sie?
Man hätte für dieses neue Ministerium durchaus einen anderen Namen finden können. "Ministerium zur Angleichung der Lebensverhältnisse". Oder: "Ministerium für regionale Förderung". Oder "für ein gutes Zusammenleben in Deutschland". Ein etwas weniger interpretationsoffener Name wäre sicher besser gewesen. Persönlich stehe ich dem Heimatbegriff aber grundsätzlich positiv gegenüber.
Der Heimatbegriff kam im 19. Jahrhundert auf, als Reaktion auf Verstädterung, Industrialisierung und Migration. Er wurde in der Nazizeit missbraucht, in den 1950er Jahren durch kitschige „Heimatfilme“ popularisiert, jetzt hat er wieder Konjunktur. Ist das nicht Ausdruck von Nostalgie?
Ja, die Sehnsucht nach einer verklärten Vergangenheit schwingt da immer mit, aber auch eine Sehnsucht nach Verwurzelung und nach dem Gefühl von früher, als man noch ein Kind war. Insofern ist das kein Begriff für eine Bundesregierung, die ein Zeichen für morgen setzen möchte. Aber man kann mit dem Begriff natürlich auch subversiv arbeiten. Wir hatten mal ein großes Forschungsprojekt mit dem Titel „Heymat“, da ging es darum, wie sich Identitäten in der Moderne immer wieder neu zusammensetzen, je nach Kontext. Das Y stand bei uns dabei für Hybridität und Hybridisierung von Gesellschaften. Bei vielen Menschen gibt es eine Suche und Sehnsucht nach Identität und dabei greifen sie immer wieder ganz stark auf Erzählungen aus der Vergangenheit zurück. Woher jemand kommt, aus welcher Region, aus welcher Familie, aus welchem Land, aus welcher Schicht, aus welcher politischen Tradition, das sind wichtige Elemente der eigenen Identität. Und dieses „von irgendwoher kommen“ kann auch dazu genutzt werden, um zu erklären, wohin man geht. Der Rückgriff auf eine Vergangenheit, um eine mögliche Zukunft zu beschreiben, kann funktional sein.
Was könnte denn ein Heimatbegriff sein, der Einwanderer und Alteingesessene verbindet?
Wenn wir den Anfang unserer heutigen Einwanderungsgesellschaft mit dem ersten großen Anwerbeabkommen der Bundesrepublik von 1955 ansetzen, dann können wir bereits auf eine über 60-jährige Geschichte der Migration zurückblicken. Insofern teilen viele hierzulande bereits eine gemeinsam geteilte Vergangenheit und eine gemeinsame Heimat. Und wenn man mit Einwanderern der ersten Generation redet und bittet, sich selbst zu beschreiben, dann nennen sie ganz oft die Städte, in denen sie leben. Aus diesen Selbstbeschreibungen ist eine starke Verbundenheit mit konkreten Orten oder Regionen wie dem Ruhrgebiet zu spüren. Viele dieser Einwanderer nennen seltener Deutschland als Heimat, sondern sagen: ich komme aus dem Pott, ich bin mit Leib und Seele Hamburger, Rheinländer oder was auch immer.
Der Sprachforscher Anatol Stefanowitsch meint: Wer Heimat zu einem politischen Begriff macht, teilt die Bevölkerung eines Landes auf in die, die dazugehören, und die, die Fremde sind. Das trifft auf die rechten Gruppen zu, die sich den „Heimatschutz“ auf die Fahnen schreiben. Wie sehen Sie das?
Ich kann dem folgen. Aber wenn man mit Menschen mit Einwanderungsgeschichte spricht, merkt man: Die meisten gehen mit dem Begriff relativ ungezwungen um. Ich finde nicht, dass dieser Begriff nur in einer destruktiven Form gedeutet werden muss. Man muss anderen nicht die Deutungshoheit überlassen, sondern kann sich Begriffe auch aneignen, erobern oder erweitern. Und auch Einwanderungsländer können eine Heimat bieten. In den USA verbindet sich der Begriff mit der Vorstellung von der strahlenden Stadt auf einem Hügel und dem Wissen, dass Millionen Menschen über das Meer zu diesem verheißungsvollen Ort gekommen sind. Das muss nicht automatisch auf „Homeland Security“ hinauslaufen.
Für über 90 Prozent der Deutschen ist der Begriff „Heimat“ positiv besetzt, das ergab kürzlich eine Umfrage. Warum ist das so?
Daran merken wir, dass es das Bedürfnis gibt, sich mit einem Ort zu verbinden und diesen Ort Heimat zu nennen. Aber wenn man die Menschen fragt, was sie mit dem Wort Heimat verbinden, dann geben sie ganz unterschiedliche Antworten. Für meine Mutter ist Heimat der Rhein – und das, obwohl sie schon sehr lange in Berlin wohnt. Und für meinen Vater ist es die Badstraße im Wedding, weil sie ihn an Teheran erinnert. Für meine Mutter ist Heimat verwurzelt und für meinen Vater transportabel. Heimat besteht also aus Erinnerung, Gefühl und Transfer. Manche verbinden es vor allem mit dem Ort, an dem sie geboren wurden, andere mit der Natur, Gerüchen, Jahreszeiten und wiederum andere mit sozialen Zusammenhängen, für sie ist Heimat der Ort, an dem sie ihre Freunde haben und die Vorstellung, an den Ort ihrer Kindheit zurückzugehen ist für sie einengend und unangenehm. Sie sind froh, eine neue Heimat zu haben.
Was ist für Sie Heimat?
Heimat ist für mich ein Gefühl von Entspanntheit – es ist der Ort, an dem ich zur Ruhe komme. Wenn ich von einer Reise nach Berlin zurückkehre, dann verbinde ich das Gefühl von Ankunft ganz stark mit dem Stadtviertel, in dem ich lebe. Das ist jetzt in der Tat ein sehr diverses Stadtviertel. Aber mich entspannt es, darin unsichtbar zu werden und keine soziale Kontrolle zu spüren. Anderen wiederum macht genau das Angst – sie fühlen sich nur dann beheimatet, wenn sie andere kennen und selbst auch erkannt werden. Für manche ist Heimat die Weite, der Berggipfel und das Meer, für andere der dichte Wald, und für manche andere die Wohngemeinschaft, die sie aus der Überschaubarkeit ihrer familialen Enge gelöst hat. Für Viele ist es ein Sehnsuchtsort in der Vergangenheit, für andere findet es jeden Tag im heute statt. Es ist ein so fluides und hybrides Gefühl, dass es sich lohnt, es mit „Y“ zu denken – als Heymat.
Interview: Daniel Bax
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