Die Bundesregierung will stärker gegen sogenannte Scheinvaterschaften vorgehen. Innen- und Justizministerium haben dazu einen Gesetzesentwurf (Referentenentwurf) vorgelegt.
Was sind Vaterschaftsanerkennungen?
Vaterschaftsanerkennung bedeutet, dass ein Mann die Vaterschaft für ein Kind anerkennt. Das kann er tun, wenn er der leibliche oder soziale Vater des Kindes ist. Die leibliche Vaterschaft kann mit einem DNA-Test nachgewiesen werden, die soziale Vaterschaft zeigt sich etwa am Umgang mit dem Kind, Verantwortungsübernahme oder Unterhaltszahlungen.Quelle
Wann führt eine Vaterschaftsanerkennung zu einem Aufenthaltsrecht?
Die Anerkennung der Vaterschaft für ein ausländisches Kind durch einen deutschen Mann kann ein Aufenthaltsrecht sowohl für das Kind als auch für die Mutter des Kindes kreieren: Das Kind ist nach Anerkennung das Kind eines Deutschen und bekommt ebenfalls den deutschen Pass. Die Mutter bekommt wiederum als Mutter dieses Kindes ein Aufenthaltsrecht. Das Gleiche gilt auch, wenn die Mutter Deutsche ist und der Vater Nicht-Deutscher. Beides ergibt sich aus Artikel 6 des Grundgesetzes, das die Familie schützt und unter anderem vorsieht, dass Familienmitglieder das Recht haben, beieinander zu leben.Quelle
Wie viele Vaterschaftsanerkennungen mit Auslandsbezug gibt es jährlich?
Die Zahl der jährlichen Vater- oder Mutterschaftsanerkennungen mit Auslandsbezug ist nicht bekannt. Auf Anfrage des Mediendienstes teilte das Bundesjustizministerium mit, dass dazu keine Statistiken erhoben würden. In dem Gesetzesentwurf gehen Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium davon aus, dass es jährlich circa 65.000 Fälle gibt, die vom neuen Gesetz betroffen wären. Das Justizministerium betont allerdings, dass diese Zahl auf modellhaften Annahmen beruhe.Quelle
Wann ist eine Vaterschaftsanerkennung missbräuchlich?
Von einer missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung – einer sogenannten Scheinvaterschaft – spricht man, wenn ein deutscher Staatsangehöriger ein ausländisches Kind anerkennt, obwohl er weder der biologische noch der soziale Vater des Kindes ist. Der Missbrauch liegt darin, dass in diesen Fällen die Anerkennung lediglich dem Zweck dient, ein Aufenthaltsrecht für das Kind und/oder für die Mutter des Kindes zu kreieren.
Wie viele Fälle von Missbrauch gibt es?
In den vier Jahren zwischen dem 1. Januar 2018 und dem 31. Dezember 2021 haben die Ausländerbehörden in Deutschland 290 missbräuchliche Vaterschaften festgestellt. Im selben Zeitraum wurde laut Bundesinnenministerium (BMI) und Bundesjustizministerium (BMJ) auch an deutschen Auslandsvertretungen nur eine „sehr geringe Quote an festgestellten Missbräuchen“ verzeichnet.Quelle
Warum braucht es ein neues Gesetz?
Für eine effektive Missbrauchskontrolle reicht die aktuelle Gesetzeslage nach Ansicht von Bundesinnenministerium (BMI) und Bundesjustizministerium (BMJ) nicht aus. Dies sei das Ergebnis einer von BMI, BMJ und Auswärtigem Amt durchgeführten Evaluation sowie von Gesprächen mit Ausländerbehörden, weiteren Behörden und eines Workshops mit Ausländerbehörden im Dezember 2023. Die Evaluation wurde auf Anfrage des Mediendienstes nicht vorgelegt. Quelle
Was sieht der Gesetzesentwurf vor?
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Standesämter jeden Antrag auf Vaterschaftsanerkennung zu einem „Prüffall“ erklären müssen, wenn ein sogenanntes Aufenthaltsrechtsgefälle zwischen den beteiligten Personen besteht. Ein Beispiel: Der Mann ist Deutscher, während das Kind und die Mutter keinen oder nur einen vorläufigen Aufenthaltstitel – wie etwa ein Visum oder eine Duldung – haben. Die Standesämter sollen die Prüfung in diesen Fällen nicht selbst vornehmen, dies soll Aufgabe der Ausländerbehörden werden. Wenn mit einem DNA-Nachweis die leibliche Vaterschaft belegt wird, muss die Prüfung sofort beendet werden. Den DNA-Nachweis müssen die Eltern allerdings selbst bezahlen. Gibt es keinen DNA-Nachweis, greifen verschiedene Vermutungsregeln: Ein Missbrauch wird etwa vermutet, wenn sich die Mutter und der Anerkennende nicht miteinander verständigen können oder dem Anerkennenden Vermögensvorteile versprochen oder gewährt wurden. Kein Missbrauch wird vermutet, wenn der Anerkennende für Mutter und Kind seit mindestens sechs Monaten vor Antragstellung Unterhaltsleistungen erbracht hat und sich auch zum Unterhalt in Zukunft verpflichtet oder der Anerkennende mindestens seit sechs Monaten vor Antragstellung Umgang mit dem Kind hat und ihn auch in Zukunft haben wird.Quelle
Was bedeutet der Gesetzesentwurf für binationale Paare?
Die Neuregelung würde das Grundrecht auf Familie von binationalen Paaren mit „Aufenthaltsrechtsgefälle“ erheblich einschränken: „Sie alle werden mit dem neuen Gesetz unter Generalverdacht gestellt“, sagt Carmen Colinas vom Verband binationaler Familien und Paare. Denn alle Konstellationen mit dem benannten „Aufenthaltsrechtsgefälle“ würden nun zu einem Prüffall erklärt. Konkret bedeute dies für die Paare unter anderem hohe Kosten für DNA-Tests oder anwaltliche Gutachten, die für viele nicht bezahlbar seien. „Unser Verband ist seit über 50 Jahren in der Beratung binationaler, migrantischer und transnationaler Familien tätig. Wir wissen, dass es einige wenige Missbrauchsfälle gibt. Eine Regelung aber, die derart gravierend in die Rechte von allen eingreift, widerspricht nicht nur dem Grundrecht auf Familie, sondern ist auch schlicht unnötig“, so Colinas.
Laut dem Notar Dirk Siegfried, der seit Jahren in der Beurkundung von Elternschaftsanerkennungen tätig ist, würde das neue Gesetz sowohl das Recht auf Familie aus Artikel 6 des Grundgesetzes als auch das Kindeswohl erheblich beeinträchtigen: Denn es verhindere, dass Kinder von binationalen Paaren unter klaren und gesicherten Verhältnissen aufwachsen. Das Gesetz ziele zwar darauf ab, die Missbrauchskontrolle zu erhöhen. Tatsächlich werde es aber vor allem die zehntausende von binationalen Eltern treffen, die - ohne missbräuchliche Motivation - ihre Elternschaft anerkennen lassen wollen. Schon jetzt sei es für diese Paare schwierig, ihre Elternschaft anerkennen zu lassen, weil es in manchen Gebieten Deutschlands kaum Termine bei Beurkundungsstellen gebe. „Die Gesetzesänderung wird diese Lage weiter verschärfen“, so Siegfried.
Was wäre die Alternative?
Die Alternative zur geplanten Gesetzesverschärfung, die auf alle binationalen Paare mit „Aufenthaltsrechtsgefälle“ abzielt, wäre die effektivere Sanktionierung der Fälle, in denen tatsächlich missbräuchlich agiert wurde. In einem Beschluss zur Vaterschaftsanerkennung wies das Bundesverfassungsgericht 2013 darauf hin, dass mit der Vaterschaftsanerkennung eine Unterhaltszahlungspflicht für das Kind einhergeht, die staatlich durchgesetzt werden könne. „Dieses Instrument zur Missbrauchsprävention besteht ja – es wird nur schlicht nicht genutzt. Statt diese Sanktion konsequent umzusetzen, werden nun mit einem neuen Gesetzesvorschlag alle Personen mit sogenanntem aufenthaltsrechtlichen Gefälle in Mitleidenschaft gezogen“, so Carmen Colinas vom Verband binationaler Familien und Paare.Quelle
Auf Anfrage des Mediendienstes teilte das Bundesjustizministerium mit, dass die Verfolgung der Unterhaltspflicht kein geeignetes Präventionsinstrument sei, da missbräuchliche Anerkennungen der Vaterschaft häufig von vermögenslosen Männern erklärt würden. Gegenüber vermögenslosen Personen entfalte weder eine Strafandrohung noch die abstrakte Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung von Unterhaltspflichten eine Abschreckungswirkung. Quelle
Das Bundesverfassungsgericht scheint dies anders zu sehen. In seinem Beschluss legte es dar, dass eine Vermögenslosigkeit den anerkennenden Vater allenfalls begrenzt vor der Zahlungspflicht schütze. Der Vater eines minderjährigen Kindes sei nämlich verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Unterhalt zahlen zu können. Dies zwinge den Unterhaltspflichtigen zur Übernahme jeder ihm zumutbaren Arbeit, wobei zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder auch Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten zumutbar seien und ein Orts- und Berufswechsel verlangt werden könne. Zudem sei die Verletzung der Unterhaltspflicht sogar nach § 170 StGB strafbewehrt.Quelle
Von Donata Hasselmann Faktencheck: Lennart Kreuzfeld
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