Der UNHCR meldete kürzlich in seinem Bericht „Asylum Trends in Industrialized Countries 2013“, dass Deutschland in diesem Jahr das Land war, in dem die meisten Menschen Asyl beantragten. Das Europäische Statistische Amt (EUROSTAT) bestätigt in einem Kurzbericht, dass die Bundesrepublik die USA als Spitzenreiter der industrialisierten Länder mit den meisten Asylanträgen ablöste. Mit rund 109.000 Erstanträgen auf Asyl nahm Deutschland demnach seit 1999 zum ersten Mal wieder die Spitzenreiterposition ein.
Diese Entwicklung ist relativ neu. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre hat sich nach Angaben des UNHCR die Zahl der hierzulande gestellten Asylanträge fast verdreifacht. Allein zwischen 2012 und 2013 stieg sie um 70 Prozent. Grund dafür ist nach Angaben des UNHCR vor allem eine starke Zunahme der Asylanträge von russischen und syrischen Staatsbürgern. So stieg innerhalb eines Jahres die Zahl der Syrer, die in Deutschland Asyl beantragten, um das Zweifache. Die der Russen um das Vierfache.
Das veranlasste einige deutsche Medien dazu, Deutschland als "begehrtestes Ziel" für Flüchtlinge weltweit zu bezeichnen. Hier stellt sich zum einen die Frage, ob "Begehren" eine treffende Bezeichnung für die Entscheidung ist, das eigene Land zu verlassen. Zum anderen bietet der UNHCR-Bericht keineswegs einen Überblick über sämtliche Flüchtlingszahlen weltweit. Er fokussiert sich lediglich auf Asylgesuche in industrialisierten Ländern, in denen ein geregeltes System für Asylanträge vorhanden ist.
Fast 42,5 Millionen Menschen befinden sich laut Angaben der Vereinten Nationen in der ganzen Welt auf der Flucht. Nach Deutschland kamen demnach 0,25 Prozent aller Flüchtlinge. Die große Mehrheit, rund 80 Prozent, sind in Entwicklungsländer geflohen und nicht in Industrienationen. Die meisten schafften es gerade einmal über die Grenze in ein Nachbarland.
Viel mehr Flüchtlinge in Libanon, Jordanien und in der Türkei
Das bestätigt auch eine erstmals durchgeführte Erhebung von vergleichbaren Daten zu weltweiten Wanderungsbewegungen, die die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vor wenigen Tagen vorgestellt hat. Die Wissenschaftler weisen in ihrer graphischen Aufarbeitung der Daten nach, dass die globalen Migrationsströme zwischen 1990 und 2010 weitgehend stabil geblieben sind und die Wanderungsbewegungen vor allem innerhalb der Regionen (Asien, Afrika, Amerika, Europa) selbst stattfinden.
So wanderten zum Beispiel die meisten Syrer auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg nach Libanon, Jordanien und in die Türkei. Die Zahl der Syrer, die 2013 in diesen Ländern Zuflucht suchten, übertrifft bei weitem die Zahl der in Deutschland gestellten Anträge: 800.000 in Libanon, 460.000 in Jordanien, 500.000 in der Türkei.
Warum also belegen diese Länder nicht die Spitzenplätze im UNHCR-Ranking? Auf Anfrage des Mediendienstes erklärt ein Sprecher des Hohen Flüchtlingskommissars: Libanon und Jordanien zählen nicht zu den industrialisierten Ländern und seien bei der Aufnahme der Flüchtlinge auf internationale Hilfe angewiesen. Was die Türkei angeht: Obwohl sie in den letzten zwei Jahren etwa ein Viertel aller syrischen Flüchtlinge aufgenommen hat, steht sie in der UNHCR-Liste nur auf Platz fünf. Das liegt daran, dass die syrischen Flüchtlinge einen Schutzstatus außerhalb des individuellen Asylverfahrens erhalten und daher nicht in die Statistik der Asylanträge aufgenommen werden.
Darüber hinaus hat die Zahl der Anträge wenig mit der eigentlichen Zahl der Flüchtlinge, die in einem Land leben, zu tun. In einigen Entwicklungsländern halten sich bereits seit mehr als zehn Jahren Hunderttausende Flüchtlinge auf. So befinden sich zum Beispiel etwa 1,6 Millionen afghanische Flüchtlinge in Pakistan, im Iran sind es 860.000 und die Republik Tschad, die ein vergleichbares Pro-Kopf-Einkommen wie Nordkorea hat, hat mehr als eine halbe Million sudanesische Flüchtlinge aufgenommen. Zum Vergleich: In Deutschland leben zurzeit 280.000 Flüchtlinge und Asylbewerber.
Von Fabio Ghelli
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