Das geplante Integrationsgesetz soll neue Regeln bestimmen, um Migranten und Flüchtlinge besser in die deutsche Gesellschaft einzugliedern. Gleichzeitig wird das an Bedingungen geknüpft. Erfüllen die Zuwanderer die geforderten Auflagen – wie etwa den Besuch von Integrationskursen – nicht, drohen ihnen Sanktionen. Vor allem dieser zweite Aspekt ist bei Migrationsexperten umstritten.
Der MEDIENDIENST hat fünf Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen gefragt, welche Vor- und Nachteile das geplante Gesetz für die Integration von Einwanderern haben könnte.
Niederlassungserlaubnis
Anerkannte Flüchtlinge sollen künftig erst nach fünf Jahren eine unbefristete Niederlassungserlaubnis bekommen – und das nur, wenn sie "grundlegende Deutschkenntnisse" haben (A2 Europäischer Referenzrahmen) und ihren Lebensunterhalt weitgehend selber bestreiten können. Wenn sie "fachkundige Deutschkenntnisse" (C1) haben, kann die Frist auf drei Jahre reduziert werden. Die Rechtslage von Flüchtlingen wird somit an die anderer Drittstaatsangehörige angepasst.
Bernward Ostrop – Referent für Migration und Flüchtlinge Deutscher Caritasverband
Der Deutsche Caritasverband kritisiert, dass durch das neue Integrationsgesetz Flüchtlinge mehr Schwierigkeiten haben werden, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu bekommen. Es stimmt zwar, dass für anerkannte Flüchtlinge künftig die gleichen Regeln gelten sollen, wie für Arbeitsmigranten aus Drittstaaten. Der Unterschied: Bei Flüchtlingen muss zusätzlich feststehen, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat nicht so geändert haben, dass sie zurückkehren können. Zwar sieht der Gesetzentwurf vor, dass anerkannte Flüchtling wie bisher nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis erhalten können. Dazu müssen sie nun jedoch "fachkundige Deutschkenntnisse" (C 1 Europäischer Referenzrahmen) besitzen und ihren Lebensunterhalt überwiegend sichern können. Man kann davon ausgehen, dass diese Vorschrift nahezu leerlaufen wird, da die meisten Flüchtlinge die Voraussetzungen nicht erreichen werden können. Anerkannte Flüchtlinge werden vermutlich auf Dauer in Deutschland bleiben. Deshalb sollten sie so schnell wie möglich einen unbefristeten Aufenthaltsstatus erhalten. Ein gesicherter Aufenthaltsstatus fördert eine erfolgreiche Integration. Die Schwächung und Infragestellung dieser Rechtsposition sendet daher das falsche Signal.
Integrationskurse
Integrations- und Orientierungskurse sollen im Rahmen des neuen Integrationsgesetzes massiv ausgebaut werden. Schon nach sechs Wochen sollen Asylbewerber künftig die Möglichkeit haben, einen Sprach- und Integrationskurs zu besuchen. Wenn sie das nicht tun, drohen ihnen Leistungskürzungen.
Christoph Schroeder – Experte für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Potsdam (SVM) und Mitglied im Rat für Migration
Das geplante Integrationsgesetz führt den Ansatz des Aufenthaltsgesetzes von 2005 fort: Wesentliche staatliche Leistungen an Zuwanderer werden an deren Integrationswilligkeit gebunden. Doch die Integrationswilligkeit soll noch enger als im Aufenthaltsgesetz am Erwerb der deutschen Sprache gemessen werden. Dieser wiederum soll durch den Besuch von Integrationskursen gewährleistet werden. Damit kommt den Integrationskursen eine wichtige Doppelaufgabe zu: Erstens haben sie eine ordnungspolitische Funktion. Ihr Besuch beziehungsweise Nichtbesuch wird zu einem Indikator für Integrationswilligkeit gemacht. Zweitens haben sie eine inhaltliche Funktion, indem sie Deutschkenntnisse vermitteln sollen. Schon in ihrer bisherigen Form haben die Integrationskurse gezeigt, dass sie dem hohen Druck dieser doppelten Aufgabe nicht gewachsen sind. Der erfolgreichen Vermittlung der deutschen Sprache kamen sie bisher jedoch nur bedingt nach. Der geplante Ausbau der Integrationskurse ist begrüßenswert. Nach dem neuen Gesetz sollen die Klassen jedoch größer und die Ansprüche an die Qualifikation der Lehrer niedriger werden. Deshalb ist mehr als fraglich, ob die Integrationskurse ihre inhaltliche Aufgabe in Zukunft besser erfüllen werden.
Arbeitsmarkt
Asylbewerber sollen künftig schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Zu diesem Zweck ermöglicht es das neue Gesetz, die sogenannte Vorrangprüfung für bestimmten Regionen abzuschaffen. Asylsuchende sollen außerdem mithilfe staatlicher Förderungen eine Ausbildung absolvieren können. Solange sie in der Ausbildung sind, können sie nicht abgeschoben werden. Auch sollen 100.000 "Ein-Euro-Jobs" spezifisch für die Berufsintegration von Flüchtlingen entstehen.
Carola Burkert – Leiterin der Arbeitsgruppe "Migration und Integration" am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB)
Das neue Integrationsgesetz sieht einige Gesetzesänderungen vor, die den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Flüchtlinge öffnen. Das ist sehr zu begrüßen. Den Vorschlag, niedrigschwellige Arbeitsgelegenheiten (sogenannte Ein-Euro-Jobs) aus Bundesmitteln zu finanzieren, sehe ich dagegen kritisch. Das hat drei Gründe: Erstens wurden solche Jobs für Personen geschaffen, die keine Chancen haben, eine nicht-geförderte Stelle am sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Das erhoffte Ziel, dass es diesen Personen dann gelingen würde, im "ersten Arbeitsmarkt" Fuß zu fassen, wurde jedoch nicht erreicht. Deshalb wurden die Ein-Euro-Jobs als Maßnahme zur Arbeitsmarkintegration abgeschafft. Zweitens sind die Kosten für ihre Planung, Durchführung und Überwachung hoch und könnten sinnvoller in gezielte Ausbildungsmaßnahmen investiert werden. Und drittens ist sicherzustellen, dass Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen den Spracherwerb und die Qualifizierung nicht be- oder sogar verhindern.
Wohnsitzauflage
Anerkannte Flüchtlinge sollen künftig nicht mehr die Möglichkeit haben, ihren Wohnort auszuwählen. Um die Entstehung von Ballungsräumen zu verhindern, sollen die Bundesländer den Wohnort eines Geflüchteten bestimmen (Wohnsitzzuweisung) oder ihn daran hindern, in bestimmten Bezirken zu wohnen (Zuzugssperre). Davon sind Studierende und Arbeitnehmer ausgenommen.
Ulrike Hamann – Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung "wissenschaftliche Grundfragen" des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM)
Es darf bezweifelt werden, dass eine Einschränkung der Freizügigkeit für Flüchtlinge die Integration beschleunigen wird. Zuzugssperren gab es für bestimmte Stadtgebiete Deutschlands schon in den 1970er Jahren. In den meisten Gebieten wurde die Sperre schon nach zwei Jahren abgeschafft, da sie nicht mit den geltenden Regelungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vereinbar war. In West-Berlin, wo die Zuzugssperre bis 1990 galt, hatte sie nicht den gewünschten Effekt: Im Bezirk Berlin-Kreuzberg stieg der Anteil von Migrantinnen trotz Sperre weiterhin an. Ein weiterer historischer Vorgänger der geplanten Wohnsitzauflage ist die Beschränkung der Freizügigkeit für Spätaussiedler von 1996 bis 2009. Eine Untersuchung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den Auswirkungen dieser Wohnsitzauflage auf die Integration kommt zu keiner eindeutigen Bewertung. Einige Experten stellten fest, dass sich die Wohnsitzauflage in strukturschwachen Regionen negativ auf die Integration, zum Beispiel in den Arbeitsmarkt, auswirkte. Die gängige Vorstellung ist, dass migrantisch geprägte Stadtviertel die Integration erschweren. Einige Studien kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass es für die Integration von Vorteil ist, wenn Einwanderer in Stadtteile ziehen, in denen bereits viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Dort finden sie die notwendigen Informationen für eine schnelle und selbstständige Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die sozialräumlichen Angebote. Als integrative Maßnahme ist eine Wohnsitzauflage deshalb nicht geeignet.
Rechtliche Fragen
Einige vorgeschlagene Gesetzesänderungen werfen zudem Fragen zur Vereinbarkeit mit dem Europarecht und dem Grundgesetzt auf.
Thomas Groß – Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsvergleichung an der Universität Osnabrück und Mitglied im Rat für Migration
In Zukunft sollen Asylbewerber verpflichtet werden können, an einem Integrationskurs teilzunehmen, obwohl es zur Zeit gar nicht ausreichend Plätze gibt. Bei einer unbegründeten Weigerung sollen ihnen nur noch abgesenkte Grundleistungen zustehen. Diese Regelung verstößt gegen die EU-Aufnahme-Richtlinie von 2013. Demnach können Asylbewerbern Leistungen aus mehreren Gründen gekürzt werden – zum Beispiel bei fehlender Mitwirkung im Asylverfahren. Das Integrationsniveau ist aber kein ausreichendes Kriterium. Die geplante Reform ist auch nicht mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar: Dieses hat in einem Urteil vom Juli 2012 festgelegt, dass Sozialleistungen, die zur Sicherung des Existenzminimums dienen, nicht aus "migrationspolitischen Erwägungen" gekürzt werden können. Die Möglichkeit, in Zukunft anerkannte Flüchtlinge zu einem bestimmten Wohnsitz zu verpflichten, widerspricht zudem ihrem europarechtlich gewährleisteten Recht auf Freizügigkeit. Nach der EU-Qualifikationsrichtlinie kann die Bewegungsfreiheit von Menschen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, nur dann eingeschränkt werden, wenn das auch alle anderen Drittstaatsangehörige betrifft.
Von Fabio Ghelli
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