Vor knapp zehn Jahren, am 18. August 2006, trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Es hat zum Ziel, Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern – vor allem im Arbeitsleben. Nun hat die Antidiskriminierungsstelle der Bundes das Gesetz vom “Berliner Büro für Recht und Wissenschaft” und der Zivilrechtsexpertin Christiane Brors von der Universität Oldenburg evaluieren lassen.
Die Experten bemängeln im Gutachten, dass die Beschwerdefrist im AGG zu kurz sei. Derzeit haben Betroffene nur zwei Monate Zeit, um gegen Fälle von Diskriminierung vorzugehen. Das sei ein “erhebliches Hindernis bei der Bekämpfung von Diskriminierungen", schreiben die Forscher. In der Regel setzen sich Opfer von Diskriminierung nur sehr zögerlich juristisch zur Wehr, oft verfallen ihre Ansprüche, bevor sie reagieren können. Die Verlängerung der Frist auf sechs Monate könne dieses Problem mildern.
Eine weitere Empfehlung betrifft das Verbandsklagerecht, das sich etwa im Umwelt- und Verbraucherschutzrecht bereits bewährt hat. Ein solches Klagerecht würde Antidiskriminierungsverbänden erlauben, Betroffene zu vertreten, die den Aufwand und die Kosten eines Gerichtsprozesses scheuen. Es würde darüber hinaus Prozesse bei sogenannter opferloser Diskriminierung möglich machen, etwa wenn ein Arbeitgeber öffentlich verkündet, er werde keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft einstellen.
Schon seit Jahren gibt es Kritik am AGG, weil es europarechtliche Vorgaben nicht vollständig umsetzt. Unter anderem greift das Gesetz bislang nicht bei Angestellten von kirchlichen Arbeitgebern oder bei sexueller Belästigung außerhalb des Arbeitsplatzes. Diese Kritik greift auch das Gutachten auf.
Positive Maßnahmen gefordert
Die Experten fordern im Gutachten zudem, mehr für Gleichstellung zu tun. Deutschland solle dem Beispiel anderer europäischer Länder wie Irland und Großbritannien folgen. Dort sind Behörden verpflichtet, Gleichbehandlungsprogramme gegen Diskriminierung wegen Religion, Geschlecht, ethnischer Herkunft, Alter, Behinderung, Familienstand und sexueller Orientierung auszuarbeiten. Der öffentliche Dienst muss dort regelmäßig Ziele festlegen - zum Beispiel, wie bestimmte Minderheiten in Führungspositionen repräsentiert werden.
Bei der so genannten Kirchenklausel schlagen die Experten eine Kompromisslösung vor. Bislang ist es Kirchen erlaubt, Beschäftigte und Bewerber wegen ihrer Religion beziehungsweise wegen der “Verletzung von religiösen Pflichten” zu diskriminieren, etwa Muslime, Geschiedene oder Schwule.
Nach Einschätzung der Experten sind solche Regelungen nur gerechtfertigt, solange es um Tätigkeiten im Kernbereich der Religion geht, aber nicht bei Ärzten, Krankenpflegern oder Erziehern in kirchlichen Einrichtungen. Weiterhin fordern die Experten einen wirksamen Schutz gegen rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.
"Der Schutz vor Benachteiligungen muss effektiver werden", sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. Laut einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle hat knapp ein Drittel der Menschen in Deutschland nach eigener Aussage in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt. 60 Prozent der Betroffenen wehrten sich, etwa Drittel davon hat sich Beratung eingeholt oder sich bei einer offiziellen Stelle beschwert. Eine Klage eingereicht haben nur etwa sechs Prozent.
Von Pavel Lokshin
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