Natürlich kann es sein, dass eine Wohnung tatsächlich schon vergeben ist oder der Vermieter die Räume nun doch selbst nutzen möchte. In vielen Fällen hat die Absage aber einen anderen Grund: den türkischen Nachnamen oder den osteuropäischen Akzent des Bewerbers. Ähnliche Geschichten hört das Team des Dortmunder Planerladens immer wieder. Der Verein engagiert sich für die demokratische Stadtplanung und stadtteilbezogene Gemeinwesenarbeit. Seit 2009 ist er außerdem eine Anlaufstelle für „Antidiskriminierungsarbeit im Handlungsfeld Wohnen“.
Vor einigen Jahren haben die Mitarbeiter beschlossen, die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt selbst zu untersuchen. Dafür haben sie das sogenannte „Paired-Ethnic Testing“ übernommen, eine Methode, die in den USA schon seit den 1970er Jahren verwendet wird, um etwa die Ungleichbehandlung von Schwarzen und Hispanics zu analysieren.
Die Methode setzt darauf, dass sich zwei Interessenten um eine Wohnung bewerben, die sich in fast allen Merkmalen gleichen – und lediglich durch ihre Herkunft, Hautfarbe oder dadurch unterscheiden, dass der eine einen deutschen Namen hat und der andere nicht.
Das erste Untersuchungsergebnis nennen die Mitarbeiter des Planerladens "alarmierend": Für ihre Analyse aus dem Jahr 2007 haben sie auf Wohnungsangebote in Online-Börsen reagiert – und 150 Vermietern zwei in korrektem Deutsch formulierte und inhaltlich identische Mails geschickt: Ein Absender hatte einen deutschen, der andere einen türkischen Namen. Das Ergebnis:
- 56 Prozent der Vermieter antworteten sowohl dem deutschen als auch dem "türkischstämmigen" Interessenten,
- 42 Prozent hingegen nur dem deutschen Bewerber. Fast jede zweite Anfrage des "türkischen" Bewerbers blieb unbeantwortet.
Das Antidiskriminierungsverbot gilt für viele Wohnungsangebote nicht
Auch die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Christine Lüders bestätigt: "Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ist nach unseren Erfahrungen ein großes und weithin unterschätztes Problem". Für Betroffene sei es äußerst schwierig nachzuweisen, ob bei den Entscheidungen eine Diskriminierung vorliegt oder nicht. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) müssten sie sogenannte Indizien darlegen, die eine Diskriminierung beim verweigerten Abschluss eines Mietvertrages vermuten lassen. "Das ist in vielen Fällen gar nicht so einfach", so Lüders. Die ADS hat deshalb 2010 eine Expertise veröffentlicht, mit Tipps für die Durchführung und Nachbereitung von Testing-Verfahren für den Klageweg.
Erfolgreich geklagt hat bis heute ein schwarzes Paar, dem die Wohnungsbesichtigung wegen ihrer Hautfarbe verweigert wurde. Insgesamt gibt es jedoch kaum Klagen vor Gericht. Ein Grund dafür könnte die rechtliche Lage sein: Das Diskriminierungsverbot im AGG gilt nicht für Vermieter, die Wohnraum in ihrem "Nahbereich", das heißt zum Beispiel im eigenen Haus vermieten (§ 19 Abs. 3). In Fällen, in denen das AGG gilt, ist jedoch eine Ablehnung für die "Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig". Der Nachweis einer Ablehnung, die ausschließlich aufgrund der ethnischen Herkunft oder Hautfarbe erfolgt, ist entsprechend schwierig.
Berlin: Zusagen für türkische Bewerberin gab es nur in Neukölln
Laut Antidiskriminierungsstelle gibt es wenig Forschung darüber, wie groß das Ausmaß von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich ist. Eine der wenigen Untersuchungen, die es bereits gibt, stammt von der Soziologin Emsal Kılıç. Sie hat sich 2008 in einer Diplomarbeit zur „Diskriminierung von Migranten bei der Wohnungssuche“ mit der Testing-Methode beschäftigt, die der Planerladen in Deutschland eingeführt hat. Entstanden ist ihre dreistufige Untersuchung im Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie an der HU-Berlin. Auch ihre fiktiven Testpersonen verfügten abgesehen von einem deutschen und einem türkischen Namen über die gleichen persönlichen und sozialen Eckdaten.
Im ersten Schritt kontaktierten die Testerinnen Anbieter, die auf einer Online-Plattform Wohnungsangebote eingestellt hatten. Beide verschickten jeweils 100 E-Mails an Berliner Vermieter in Wilmersdorf und Neukölln. Die deutsche Testperson bekam aus Wilmersdorf sechs Zusagen und eine Absage, die türkischstämmige sechs Absagen und keine Zusage. In Neukölln konnte sie elf Zusagen und vier Absagen verbuchen, die deutsche Testerin 13 Zusagen und zwei Absagen.
Im zweiten Schritt reagierten die beiden fiktiven Interessentinnen auf die Zusagen aus Neukölln. Nun sollte telefonisch ein Termin für eine Wohnungsbesichtigung vereinbart werden. Die deutsche Bewerberin bekam insgesamt neun Termine. Nur vier davon wurden auch der zweiten Testerin angeboten.
Deutsche Interessentin kann alle Wohnungen mieten, die türkische keine
Damit waren für das „Face-to-Face-Testing“ vier Wohnungen übriggeblieben. Während dieses Besuchs wurden der türkischstämmigen Bewerberin Fragen zur Lebenssituation gestellt, etwa zur Berufstätigkeit und dem Haushaltseinkommen – der deutschen Testerin hingegen gar keine. Dafür bekam sie vom Vermieter häufiger relevante Hinweise, etwa Tipps zu anderen Wohnungsangeboten. Und schließlich auch vier Zusagen, die Wohnungen mieten zu können. Die türkischstämmige Bewerberin erhielt nach den Terminen keinen einzigen Rückruf.
Emsal Kılıç schließt aus ihrer Studie, dass der Zugang für Migranten zu „besseren“ Wohngegenden über eine normale Bewerbung „faktisch unmöglich“ ist. Auch in Stadtteilen mit vielen Migranten würden deutsche Bewerber bevorzugt.
Der Dortmunder Planerladen will gegen diese Diskriminierungen ein Zeichen setzen: Seit 2011 können sich Vermieter dort um ein Siegel für die „Herkunftsunabhängige Gleichbehandlung bei Vermietungen“ bewerben. Dass sich die Vermieter an die dazugehörigen Regeln halten, soll durch unangekündigte Testings überprüft werden. Die Zahl der Anfragen ist allerdings noch ausbaufähig. „Bislang haben wir zwei Vermietern das Siegel überreicht“, sagt Regina Hermanns vom Integrationsteam des Planerladens. Zu den ausgezeichneten Wohnungsgebern gehört die ITW GmbH, die in der Dortmunder Nordstadt 20 Mehrfamilienhäuser besitzt, in denen Menschen aus 17 Nationen leben. Auf immerhin sechs Nationen bringt es das Vermieterehepaar Sigrid Czyrt und Volker Töbel, das insgesamt sieben Wohnungen vermietet.
Aktualisiert am 05.11.2013
Von Rita Nikolow
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