Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden: Ein Mitgliedstaat darf EU-Bürgern Sozialleistungen verweigern, wenn diese nicht erwerbstätig sind und auch nicht vorhaben, im Aufnahmeland zu arbeiten. Damit bestätigte der EuGH, dass europäisches und deutsches Recht in diesem Punkt miteinander in Einklang stehen.Konkret geht es um den Fall einer 24-jährigen Rumänin, die seit 2010 mit ihrem fünfjährigen Sohn in Deutschland gemeldet ist. Sie hat 2011 und 2012 beim Jobcenter Leipzig Hartz IV beantragt. Die Leistung wurde ihr verweigert, woraufhin sie Widerspruch einlegte und Klage beim Sozialgericht erhob. Die Argumentation des Jobcenters: Die Antragstellerin habe keinen Schulabschluss und keine Aussicht, in Deutschland eine Arbeit zu finden.Die Frage, die vom EuGH in diesem Zusammenhang beantwortet wurde, hat allerdings eine größere Tragweite: Darf ein EU-Mitgliedstaat einen zugewanderten Unionsbürger anders behandeln als einen Einheimischen, wenn es darum geht, seinen Lebensunterhalt zu sichern?
Das Urteil lässt Fragen offen
Gemäß Artikel 4 der EU-Richtlinie 883/2004 haben Unionsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat leben, „die gleichen Rechte und Pflichten [...] wie die Staatsangehörigen dieses Staates.“ Das betrifft auch den Anspruch auf SozialhilfeDie Freizügigkeits-Richtlinie schreibt in Artikel 7 allerdings einige Bedingungen für den Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat fest. Dazu gehört unter anderem die Fähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, „so dass [zugezogene Unionsbürger] während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen.“Das heißt allerdings nicht, dass Deutschland oder ein anderer Mitgliedstaat zugewanderten Unionsbürgern grundsätzlich Sozialleistungen vorenthalten kann. Denn sowohl das europäische als auch das deutscheecht sehen vor, dass ein Unionsbürger bis zu sechs Monate in einem anderen europäischen Land nach Arbeit suchen kann. Doch wie soll er sich finanziell über Wasser halten, wenn er gerade auf Arbeitssuche ist?Das Urteil im aktuellen Fall gibt in diesem Zusammenhang wenig Aufklärung. Nach Auffassung der Sozialrechts-Expertin Stamatia Devetzi liegt das daran, dass er sehr speziell ist: „Es handelt sich hier um eine nicht-erwerbstätige Unionsbürgerin, die keine Arbeit gesucht hat“, erklärt Devetzi gegenüber dem MEDIENDIENST. „In dieser Hinsicht bestätigt das EuGH-Urteil das, was sowohl im europäischen als auch im deutschen Recht bereits festgeschrieben ist: Ein erwerbsfähiger Unionsbürger, der nicht arbeitet und auch keine Absicht hat, in der nahen Zukunft zu arbeiten, kann seinen Lebensunterhalt nicht allein durch Sozialhilfeleistungen bestreiten."
Muss Deutschland das Gesetz doch ändern?
Viel wichtiger als der aktuelle Fall ist nach Devetzis Meinung das bevorstehende Urteil bei einer 2013 vom Bundessozialgericht (BSG) eingeleiteten "Vorlagefrage" an den Europäischen Gerichtshof. Darin geht es um eine schwedische Staatsbürgerin, die ebenfalls erfolglos Sozialleistungen nach SGB II beantragt hat. Die Klägerin hat einige Monate in Deutschland gearbeitet und gilt somit als Arbeitsuchende.„Die Position von Arbeitssuchenden wird schon seit mehreren Jahren vom EuGH anders bewertet als die von Nichterwerbstätigen“, sagt Devetzi. Schon in mehreren Urteilen wurde bei Arbeitssuchenden eine "tatsächliche Verbindung zum Mitgliedstaat" beziehungsweise eine „Integration in die Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ als ausreichende Gründe anerkannt, um den Zugang zu bestimmten Sozialleistungen zu rechtfertigen.In Deutschland sind alle Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, nach dem Sozialgesetzbuchrinzipiell von Sozialleistungen ausgeschlossen. Sollte der EuGH im Fall der schwedischen Klägerin entscheiden, dass das deutsche Sozialrecht nicht im Einklang mit den europäischen Richtlinien steht, würde Deutschland doch sein Sozialrecht reformieren müssen.