MEDIENDIENST: Die Bundesregierung will nicht nur die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland erleichtern, sondern auch von Hilfskräften. Ab dem 1. März können Unternehmen Personalengpässe abfedern, indem sie Hilfskräfte befristet für acht Monate einstellen. Was spricht dafür?
Holger Kolb: Dafür spricht, dass so legale Wege entstehen, nach Deutschland zu kommen und hier zu arbeiten. Solche Jobs gab es auch schon bisher. Sie befanden sich allerdings oft im rechtlichen Graubereich.
Und was spricht dagegen?
Wer einen solchen Job annimmt, bekommt nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit, sich in Deutschland zu integrieren. Denn nach acht Monaten muss man wieder ausreisen. Es entsteht eine neue Form von Gastarbeit. Man kann zwar im nächsten Jahr wiederkommen, Rotation ist möglich. Aber der jeweilige Aufenthalt ist begrenzt.
Für 2024 hat die Bundesagentur für Arbeit das Kontingent auf 25.000 Arbeitskräfte begrenzt. Welche Branchen werden das vor allem nutzen?
Ich gehe davon aus, dass saisonabhängige Branchen das nutzen werden. Die Gastronomie zum Beispiel und das Hotelgewerbe. Aber sicher auch die Flughäfen für die Gepäckabfertigung.
Dr. Holger Kolb ist Politikwissenschaftler. Seit 2009 ist er für den Sachverständigenrat für Integration und Migration tätig. Seit Mai 2012 leitet er dort die inhaltliche Erstellung der SVR-Jahresgutachten.
Und für welche Arbeitnehmer*innen könnte eine solche Beschäftigung interessant sein?
Eher für jüngere Arbeitskräfte. Schließlich geht es um befristete Jobs, vermutlich eher auf Mindestlohn-Niveau. Arbeitgeber müssen die Reisekosten zahlen. Wie das kontrolliert werden soll, weiß ich allerdings nicht. Es sind zwar keine Länder ausgenommen, aber schon wegen der Reisekosten wird es für Südamerikaner*innen keine große Relevanz haben. Eher für Personen aus Osteuropa, vielleicht aus dem Maghreb-Raum.
Die Gewerkschaften befürchten, dass inländische Arbeitskräfte verdrängt werden. Teilen Sie die Sorge?
Ich sehe nicht die Gefahr, dass Arbeitskräfte verdrängt werden. Die freien Stellen sind ja da. Jeder kennt Gaststätten, in denen händeringend Personal gesucht wird. Eine andere Befürchtung halte ich für berechtigt: Es besteht ein Ausbeutungsrisiko. Normalerweise müssten die Löhne steigen, wenn Arbeitskräfte knapp werden. Durch eine solche Regelung kann das gebremst werden.
Von der Regelung sollen nur Unternehmen Gebrauch machen können, die tarifgebunden sind. Werden so zumindest gewisse Mindeststandards gesichert?
Das hätte man auch anders regeln können: etwa vorschreiben können, dass Betriebe sich beim Lohn und den Arbeitszeiten an den Tarifbedingungen orientieren müssen, die in der Branche und der Region gelten. Die Unternehmen in die Tarifbindung zu zwingen, finde ich problematisch.
Warum finden Sie das problematisch?
Das Ziel, mehr Unternehmen in die Tarifbindung zu bekommen, teile ich. Aber ich habe Zweifel, dass das Aufenthaltsrecht dafür das richtige Instrument ist. Wenn nur tarifgebundene Betriebe so Hilfskräfte beschäftigen können, bevorzugt das tendenziell westdeutsche Großunternehmen gegenüber ostdeutschen Kleinunternehmen. Man kann natürlich sagen: Dann soll der kleine Betrieb im Vogtland halt in die Tarifbindung gehen. Mir geht das aber zu sehr nach dem Motto „friss oder stirb“.
Ab dem 1. März greift außerdem die neue „Erfahrungssäule“ des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes: Wer aus einem Nicht-EU-Land kommt, über einen staatlich anerkannten Berufsabschluss verfügt und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, soll zum Arbeiten nach Deutschland kommen können. Was versprechen Sie sich davon?
Damit verabschiedet sich die Bundesregierung von dem Dogma, dass Menschen erst einmal nachweisen müssen, dass ihre im Ausland erworbene Qualifikation deutschen Ausbildungsstandards entspricht. Das lässt hoffen, dass es unkomplizierter wird, Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Denn die Prüfung der Gleichwertigkeit von Abschlüssen ist extrem aufwändig und dauert oft lange. Auch für den Erfolg der „Erfahrungssäule“ wird entscheidend sein, wie sie konkret in der Praxis umgesetzt wird.
Worauf kommt es dabei an?
Spannend wird, welche Routinen es in der Verwaltung geben wird, um Berufserfahrung und Abschlüsse aus dem Ausland anzuerkennen. Die Überprüfung der Auslandsqualifikationen soll die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) übernehmen. Dort soll eine Datenbank aufgebaut werden, die Bestätigung des Vorliegens einer ausländischen Qualifikation soll vollständig digitalisiert erfolgen. Es kostet dann 150 Euro, einen entsprechenden Bescheid zu bekommen. Insgesamt wird man auch bei der Überprüfung der Berufserfahrung einen guten Mittelweg finden müssen: Es muss eine seriöse Prüfung geben, die Bürokratie darf aber nicht ausufern.
Interview: Cordula Eubel
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