Heute wird im Senat über den Gesetzentwurf für ein neues Einwanderungsrecht abgestimmt. Was ist Ihre zentrale Forderung als Vorsitzende einer Unternehmervereinigung von Einwanderern?
Ich bin der Meinung, dass der wichtigste Aspekt der Reform ist, mehr Wege für Migranten zu schaffen, um legal arbeiten zu können. Unter dem derzeitigen System gibt es nicht genügend Arbeitsgenehmigungen für qualifizierte Migranten und keinen legalen Weg für unqualifizierte Migranten, die ganzjährig in Amerika arbeiten möchten. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern hat weitreichende Auswirkungen. Das beste Gegenmittel gegen unbefugte Einwanderung ist nämlich ein funktionierendes Einwanderungssystem, also müssen wir genügend neue Visa für Arbeiter anbieten. Wenn wir das System nicht richtig umbauen, dann wird es in 15 Jahren in den Vereinigten Staaten weitere zehn bis 15 Millionen Einwanderer ohne gültige Papiere geben.
Es könnte aber passieren, dass dieser Aspekt in der Debatte verloren geht. In den Medien konzentriert sich alles auf die elf Millionen unbefugten Einwanderer und ob die neue Gesetzgebung eine Amnestie bedeutet oder nicht. Es kann sein, dass die Entscheider nicht in die Zukunft blicken und fragen, welche Schritte wir ergreifen müssen, um die Einwanderung künftiger Arbeitskräfte sicherzustellen, die wir dringend brauchen.
Es wird auch über die Einführung eines Gastarbeiter-Programms diskutiert. Wie soll das aussehen und welche Unterschiede sehen Sie zum deutschen Modell der 60er Jahre?
Das neue Visa-Programm wäre kein Gastarbeiterprogram im herkömmlichen Sinn. Beim „Temporary Worker“ Visa-Programm [befristete Arbeitserlaubnis] sind die Arbeiter im Gegensatz zu traditionellen Gastarbeiterprogrammen nicht an einen einzigen Arbeitgeber gebunden und es besteht die Möglichkeit, dass sie einen Daueraufenthalt und die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen können.
Konkret: Im Rahmen des aktuellen US-Einwanderungsrechts können hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte [die über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügen] im H1-B Visa Programm eine drei Jahre gültige Arbeitserlaubnis erhalten, wenn sie einen Sponsoring-Arbeitsgeber haben. Und sie haben die Möglichkeit, eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Der neue Gesetzesentwurf enthält zudem eine ähnliche Option für ungelernte Arbeitskräfte, die zuerst ein befristetes Visum erhalten. Auch für sie wäre es dann möglich, eine Daueraufenthaltsgenehmigung zu erhalten, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, wie Englisch lernen, sich in der amerikanischen Gesellschaft integrieren, usw.
Was können Deutschland und die USA voneinander lernen?
Es ist schwierig, die Einwanderungsgeschichte Deutschlands und die der Vereinigten Staaten zu vergleichen. Im Großen und Ganzen scheint es für Einwanderer leichter zu sein, sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren. In Amerika verwundert es niemanden, dass Einwanderer sich weiterhin mit ihrem Heimatland identifizieren, obwohl sie sich entschieden haben, Amerikaner zu sein.
Ich denke auch, dass es sehr hilfreich ist, dass die meisten Einwanderer in den USA einer Arbeit nachgehen. Anders als in den meisten Ländern in Europa, gibt es in den Vereinigten Staaten sehr selten die Möglichkeit, Sozialhilfe zu bekommen, man muss also arbeiten und das erleichtert den Integrationsprozess.
In einem Gastkommentar in CNN Opinion bemerken Sie zur aktuellen Debatte in den Vereinigten Staaten: „Nach sechs Jahren Stillstand will plötzlich jeder eine umfassende Reform des Einwandersungssystems erlassen“. Warum ist das Thema für die großen Parteien so wichtig geworden?
Verantwortlich dafür sind die Stimmen der Latinos. Zur Zeit stellen Lateinamerikaner zwar nur einen kleinen Prozentsatz der gesamten Wählerschaft, ihre Zahl wächst aber kontinuierlich und sie werden in den kommenden zwanzig Jahren immer wichtiger. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Republikaner darauf aufmerksam wurden. Früher war sich nur eine kleine Minderheit der Republikaner dessen bewusst, aber jetzt gibt es kaum einen im ganzen Land, der nicht versteht, wie wichtig die Latino-Stimmen bei künftigen Wahlen sein werden. 2012 war das entscheidende Jahr, aber es hätte auch vor vier Jahren oder in vier Jahren sein können.
Wie wird die Einwandersungsreform in den amerikanischen Öffentlichkeit diskutiert?
Der durchschnittliche Amerikaner hat der Einwanderungsreform bis jetzt nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das Thema hatte es bis zur Vorlage des Gesetzentwurfs noch nicht in die Abendnachrichten geschafft. Aber das hat sich nun geändert. Im Gegensatz zu 2007, als sich der Kongress das letzte Mal mit der Einwanderungsreform beschäftigte, belegen Umfragen, dass inzwischen die Mehrheit der amerikanischen Gesellschaft eine Reform des Einwanderungssystems unterstützen würde. An der Debatte beteiligen sich vor allem Latino-Aktivisten, Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen und Einwanderungs-Gegner. Es gibt eine kleine, aber laute Fraktion, die sich der Einwanderungsreform entgegensetzt. Die Frage ist, wie laut sie in diesem Jahr sein wird.
Aus der Perspektive einer Außenstehenden, was halten Sie von den aktuellsten Entwicklungen in der deutschen Einwanderungspolitik?
Ich finde die Website "Make It In Germany" absolut faszinierend, vor allem die Job-Angebote. Ich bin gespannt, wie erfolgreich dieses Programm und Änderungen der deutschen Einwanderungspolitik darin sind, Deutschland für neue Arbeitskräfte attraktiv zu machen. Im Moment versucht jedes Land auf der Welt, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. In der Vergangenheit hatte sich der globale Wettbewerb zwischen Ländern auf Rohstoffquellen konzentriert, jetzt konkurrieren die Länder miteinander um hochqualifizierte Arbeitskräfte. Es wird von entscheidender Bedeutung sein, wie sich dieser Prozess entwickelt und welche Länder am erfolgreichsten eine attraktive Einwanderungspolitik einführen.
Interview: Shannon Williams
Tamar Jacoby ist Präsidentin von ImmigrationWorks USA, einem überregionalen Verband von Kleinunternehmern, die sich für Einwanderung stark machen. Die Publizistin ist regelmäßig zu Gast in TV-Sendungen und Radiosendern, ihre Kommentare finden sich unter anderem in U.S. News, Bloomberg und The Wall Street Journal. Jacoby ist Herausgeberin von "Reinventing the Melting Pot: The New Immigrants and What It Means to be American", eine Aufsatzsammlung zu Integrationserfahrungen der jüngsten Einwanderergeneration in den USA.
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