Deutschland ist attraktiv für Einwanderer. Das hat nicht zuletzt mit den Bemühungen um mehr Fachkräfte zu tun, wie etwa der neuen Beschäftigungsverordnung und der Einführung der „Blauen Karte EU“. Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, sprach erst kürzlich in einem Interview von einem "grundsätzlichen Neustart" der Migrationspolitik in der Bundesrepublik. Die Bertelsmann Stiftung erkennt diesen noch nicht: In einem Diskussionspapier vom Mai fordert sie eine strategische Neuausrichtung der Einwanderungspolitik. Ebenfalls im Mai stellte die Bertelsmann-Stiftung ein "Gesamtkonzept Zuwanderung" vor.
Der Hintergrund: Es seien tiefgreifenden Effekte des demographischen Wandels auf den Arbeitsmarkt zu erwarten – so könnte laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) ohne Einwanderung das Potenzial an Erwerbspersonen bis 2050 um 18,1 Millionen sinken. Dies würde in Relation zum heutigen Stand einen Rückgang um 40 Prozent bedeuten. Um das abzufedern, brauche Deutschland Einwanderung, doch blieben bislang viel zu wenige qualifizierte Drittstaatler zum Zweck der Erwerbstätigkeit im Land. Das Papier trägt den Titel „Mit der ,Schwarz-Rot-Gold‘-Karte internationale Fachkräfte gewinnen“. Darin schlägt die Migrationsexpertin Christal Morehouse ein Paket aus neuen Einwanderungsregeln, reformiertem Staatsbürgerschaftsrecht und einer besseren Willkommens- und Anerkennungskultur vor. Deutschland, so Morehouse, müsse sich nach außen einladender präsentieren, und die Debatten im Land selbst müssten sich weg bewegen vom Bild des Einwanderers als „fremd, belastend oder bedrohlich“. Hier die wichtigsten Eckpunkte des Papiers zur "Schwarz-Rot-Gold"-Karte:
Neue Einwanderungsregeln
Ein wesentlicher Hinderungsgrund für die Arbeitsmigration von Drittstaatlern ist laut dem Papier das „ebenso komplizierte wie bürokratische Regelsystem“ hierzulande. Noch sei es beherrscht vom „Geist des Anwerbestopps“. Kernstück einer Reform soll die Steuerung der Arbeitsmigration durch ein einfaches und transparentes Punkte- und Kartensystem sein, das einerseits Zielvorgaben machen und andererseits den Einwanderern dauerhafte Perpektiven eröffnet. Es enthält drei verschiedene Visa- bzw. Aufenthaltstypen für folgende vier Gruppen:
- Hochqualifizierte
- Fachkräfte in Mangelberufen
- Bildungs- und Weiterbildungszuwanderer
- Temporäre Migranten
Die ersten beiden Gruppen, Hochqualifizierte und Fachkräfte mit Mangelberufen, sollen die "Schwarz-Rot-Gold"-Karte beantragen können. Sie würde nach einem Punktesystem vergeben, das sowohl das eigene Qualifikationsprofil des Einwanderers als auch die Bedarfe des deutschen Arbeitsmarkts berücksichtigt. Die "Schwarz-Rot-Gold"-Karte enthält eine unbeschränkte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung und stellt eine zügige Einbürgerung in Aussicht. Bildungs- und Weiterbildungszuwanderer erhalten eine "Bildungs-Karte" mit befristetem Aufenthalt und möglicher Verlängerung – am Ende stehen entweder Einbürgerung oder Rückkehr. Für temporäre Migranten ist ein befristeter Aufenthalt vorgesehen. Sie erhalten die "Zeit-Karte". Morehouse spricht von diesem Modell als "Skizze", die Details der Regelungen müssten in einer breiten öffentlichen Debatte geklärt werden. Die Autorin schildert als ein Beispiel für ein solches Punktesystem das österreichische Modell der Arbeitsmigrationssteuerung mit der "Rot-Weiß-Rot"-Karte.
Bessere Willkommens- und Anerkennungskultur
Laut dem Papier sollte eine Reform der Arbeitsmigration neben den Interessen Deutschlands unbedingt auch die der Einwanderer und ihrer Familien im Auge haben. Neben klaren rechtlichen Vorgaben, fairen wirtschaftlichen und sozialen Chancen und der Anerkennung von Qualifikationen sollen auch solche gesamtgesellschaftlichen Faktoren eine Rolle spielen: „Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“, „Förderung von Mehrsprachigkeit“, „Schutz vor Diskriminierung“, „Gleichstellung der Religionen“ und die „angemessene Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft“. Dazu schreibt Morehouse: „Die Inklusion künftiger und bereits hier lebender Zuwanderer ist nur möglich, wenn alle gesellschaftliche Teilsysteme sich im Geist des Vielfaltsparadigmas öffnen und neu justieren.“
Reformiertes Staatsbürgerschaftsrecht
Um gut qualifizierte Einwanderer zu gewinnen und auch zu halten, muss laut dem Bertelsmann-Papier auch die Möglichkeit der „vollen Teilhabe und Zugehörigkeit“ eröffnet werden. Es plädiert für einfachere und schnellere Wege zur deutschen Staatsbürgerschaft, für einen flexibleren Umgang mit doppelten Staatsbürgerschaften sowie die Abschaffung der Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder von Ausländern. Die Einbürgerungsquote liege derzeit bei rund zwei Prozent, heißt es in dem Papier. „Mit anderen Worten: Das verbleibende Einbürgerungspotenzial im Land ist mit ca. 98 Prozent sehr hoch.“
Das Konzept sieht vor, dass Inhaber der „Schwarz-Rot-Gold“-Karte bereits nach vier Jahren (ab Ankunft) eingebürgert werden können. Inhaber der „Bildungs-Karte“ mit Niederlassungserlaubnis sollten nach sechs Jahren (ab Ankunft) eingebürgert werden können.
Gesellschaftliche Debatte
Im Fazit betont Autorin Morehouse auch die notwenige gesellschaftliche Debatte, die es angesichts solcher Reformschritte brauche: „Gerade bei der Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz von Zuwanderung hat Deutschland Nachholbedarf. Die Bevölkerung muss von Verantwortungsträgern in Politik und Gesellschaft stärker für die Notwendigkeit und die Chancen von Zuwanderung sensibilisiert werden. Nur so wird ein Klima der Offenheit entstehen, das unser Land dringend benötigt.“
Von Hans-Hermann Kotte
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