Marina Chernivsky, Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST)
"Es braucht ein radikales Umdenken im Umgang mit hassmotivierter Gewalt"
"Der Anschlag in Halle ist ein tiefer Einschnitt für die jüdische Community in Deutschland. Jedoch passierte er nicht ganz unerwartet. Andere Anschläge auf jüdische Einrichtungen der letzten Jahre sitzen tief im Gedächtnis. Ein solcher Angriff weckt Erinnerungen, schafft tiefe Verunsicherung und triggert Ängste. Das ist genau das, worauf Terror abzielt: Menschen unerwartet mitten im Alltag zu treffen und Ängste zu schüren. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft um uns herum versteht, was es bedeutet, mit dieser Angst vor und Erfahrung mit Gewalt zu leben. Das betrifft nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern auch andere Gruppen, die Erfahrungen mit Rassismus und Gewalt machen. Gesellschaft und Politik müssen entschieden handeln, um diese Entwicklung aufzuhalten. Leider braucht es noch mehr Sicherheitsvorkehrungen und ein radikales Umdenken im Umgang mit hassmotivierter Gewalt. Es braucht eine systematische und vor allem finanziell abgesicherte Präventionsarbeit und Institutionen, die professionell beraten, unterstützen und empowern. Wichtig dabei ist, dass Jüdinnen und Juden nicht als Opfer gesehen werden, sondern als politische Subjekte, deren Realitäten und Perspektiven anerkannt und ernst genommen werden."
Prof. Dr. Andreas Nachama, Geschäftsführender Direktor der Topographie des Terrors in Berlin und Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland
"Die Politik muss handeln"
"Die Bestürzung innerhalb der jüdischen Bevölkerung nach dem Anschlag in Halle ist groß. Die Menschen sind in Sorge. Jedoch richtete sich der Anschlag nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern gegen die gesamte Gesellschaft: Die zwei Todesopfer kommen nicht aus der jüdischen Community. Der Anschlag in Halle zeigt, dass es jeden in der Gesellschaft treffen kann.
Die Besorgnis in der jüdischen Community ist schon seit längerer Zeit da. Wir werden nicht müde zu sagen, dass Dinge geschehen müssen und die Politik handeln muss. Dazu gehört, antisemitische Straf- und Gewalttaten auch als solche zu verurteilen – in den vergangenen Jahren gab es mehrere antisemitische Taten, wie den Anschlag auf eine Synagoge in Wuppertal, die nicht als antisemitisch gewertet wurden. Zudem ist es an der Zeit, dass die Politik einen genauen Blick auf die rechtsextremistische Szene wirft. Der Täter aus Halle war kein Einzeltäter, sondern handelte unter rechtsextremistischer Ideologie."
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