Ein Buch des Journalisten Rolf Bauerdick hat die Debatte über Begrifflichkeiten und „political correctness“ zu Roma neu entfacht. Sein Titel gleicht einem Statement: "Zigeuner – Begegnungen mit einem ungeliebten Volk". Bauerdick erklärt im Interview, er bezeichne die Menschen "aus Respekt" so und sieht sich bestätigt durch das Feedback einiger der auf diese Weise Angesprochenen und das "erstaunlich" große Medieninteresse. Und so steht die Frage im Raum: Darf man noch – oder wieder – „Zigeuner“ sagen oder schreiben? Heißt es nicht eigentlich „Roma“? Oder muss man die sperrige Doppelformel „Sinti und Roma“ verwenden?
Zigeuner
Die einfachste Antwort ist: Von dem Wort „Zigeuner“ fühlen manche Menschen sich verletzt und beleidigt, vom Wort „Roma“ nicht. Wer niemanden beleidigen will, sollte das Zigeuner-Wort also nicht verwenden und stattdessen lieber von "Roma" sprechen.
Nennt man in Deutschland jemanden „Zigeuner”, heißt das vor allem: Du bist kein Deutscher wie wir, du bist anders. Es mag stimmen, dass das Wort bis vor dreißig oder vierzig Jahren von vielen, die so bezeichnet wurden, als gängige Bezeichnung akzeptiert war. In den 1950er Jahren gab es in Deutschland noch ein „Zentralkomitee der Zigeuner“.
Doch die Zuschreibung wird in der Regel nicht mit Stolz angenommen, sondern ist mit Scham verbunden. Dass sie als Kinder und Jugendliche "Zigeuner" genannt wurden, hat viele traumatisiert. Der Begriff wurde in Deutschland nie als neutrale Zuschreibung für eine Volksgruppe verwendet, sondern immer auch als ein Synonym für Verunglimpfungen wie "asoziales Gesindel". Die Hasspropaganda der Nationalsozialisten trug dazu bei, die negative Bedeutung noch zu vertiefen.
Auf dem ersten „Weltkongress“ der Roma-Nationalbewegung 1971 in London einigten sich die versammelten Aktivisten dann auf das Wort "Roma".
Roma
Seit den frühen 70er Jahren hat das Roma-Wort sich fast überall in Europa durchgesetzt.
- "Rom" bedeutet in der Sprache Romanes „Ehemann“,
- "Romni" heißt Ehefrau,
- und der Plural "Roma" wurde schon länger, besonders in Rumänien, auch als Volksname verwendet.
Im früheren Jugoslawien, in Ungarn, Rumänien und Bulgarien, also den Ländern mit den meisten Roma, existieren wie in Deutschland die Bezeichnungen „Roma“ und „Cigani“, „Cigány“ und „Țigani” nebeneinander und werden für dieselben Menschen verwendet. In allen diesen Ländern aber wird in Zeitungen sowie in öffentlichen Dokumenten nur das Wort „Roma” benutzt.
Die Bezeichnung "Zigeuner" ist allenfalls umgangssprachlich üblich. Wenn sie in der Schriftsprache verwendet wird, geschieht das fast immer in herabsetzender Absicht oder wird wenigstens so empfunden. Ein Vorstoß rumänischer Abgeordneter, das Wort "Roma" in der Amtssprache durch "Zigeuner" zu ersetzen, stieß bei den Vertreter-Organisationen auf Empörung.
Es stimmt auch, dass die Bezeichnung "Roma" von vielen, die so genannt werden, nicht akzeptiert wird und dass manche das Wort "Zigeuner" vorziehen – besonders in Rumänien und in Ungarn. In dieser Haltung steckt manchmal Sarkasmus, aber noch häufiger Skepsis gegenüber dem Anspruch einer Roma-Nationalbewegung.
Anders als in Deutschland wird in Ost- und Südosteuropa zwischen Nationalität und Staatsangehörigkeit unterschieden. Als Rom definiert zu werden, heißt nicht zuletzt auch, Teil einer Volksgruppe oder sogar Nation zu sein. Von ethnischen Minderheiten und Nationen wird aber erwartet, dass sie ihre Bedürfnisse bis zu einem gewissen Grade selbst regeln. Da Roma zumindest in Ost- und Südosteuropa in einer sozialen Randlage sind, sind sie dazu oft nicht in der Lage. Deshalb lehnen viele das Roma-Wort ab.
Sinti & Roma
Schon bevor sich der Begriff "Roma" um 1970 international auszubreiten begann, hatten sich Aktivisten in der Bundesrepublik Deutschland auf die Bezeichnung "Sinti" (Singular männlich Sinto, weiblich Sintizza) geeinigt. Damit sind die Nachfahren von Gruppen gemeint, die schon seit dem 15. Jahrhundert nach Deutschland eingewandert sind. Verwendet wird der Begriff nur in Deutschland, Österreich und Teilen Norditaliens.
Wenn Vertreter von „Sinti und Roma“ sprechen, wollen sie damit auch die Nachfahren von späteren Einwanderergruppen einschließen, die nach der Sklavenbefreiung in Rumänien um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen sind. Beide Gruppen gelten in Deutschland als ansässig oder „autochthon“ und genießen wie die Friesen, Sorben oder Schleswiger Dänen Minderheitenstatus.
Neuzuwanderer aus Rumänien oder Bulgarien, Serbien oder Mazedonien „Sinti und Roma“ zu nennen, ist deshalb falsch. Wenn man sie unbedingt mit einem ethnischen Namen bezeichnen will, ist nur "Roma" richtig.
Die derzeit viel zitierten Herausforderungen, die die Migration dieser Gruppen teilweise mit sich bringt, haben nichts mit ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu tun. Vielmehr sind die Problemlagen typisch für Armuts-Communities überall auf der Welt. Insofern kann man auf ethnische Zuschreibungen verzichten. Am zutreffendsten wäre es also, von "Armutswanderern" zu sprechen, wenn man das aktuelle Thema aufgreifen will. Auch Marian Luca, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, hält das noch für den geeignetsten Begriff. Dabei wiederum sollte man allerdings unbedingt beachten, dass "Armutswanderer" als pauschale Zuschreibung für (alle) Einwanderer aus Osteuropa keineswegs zutrifft.
Norbert Mappes-Niediek ist Publizist, Balkan-Experte und wurde in den 90er Jahren als Politikberater der UNO engagiert. 2012 hat er unter dem Titel "Arme Roma, böse Zigeuner" ein Buch veröffentlicht – ein Faktencheck zu gängigen Stereotypen, in dem er auch die europäische Roma-Politik analysiert.
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.