Seit der Deutsche Städtetag Mitte Februar eine alarmierende Meldung zur Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien veröffentlicht hat, ist viel von einer dramatisch wachsenden "Armutszuwanderung" die Rede. Zwar sind die Zahlen dazu in mehrerlei Hinsicht nicht haltbar, wie der Mediendienst berichtete. Doch die bis heute andauernde Debatte hinterlässt ihre Spuren.
Aus Rumänen und Bulgaren wurden pauschal "Armutswanderer", wie etwa im ZDF-Morgenmagazin, und aus diesen bisweilen Roma, wie unter anderem in einem Kommentar im Tagesspiegel.
Die Matrix der „Armutszuwanderung“ von „Roma“ dient längst auch der extremen Rechten als Argument für ihre rassistische Rhetorik. Neu ist dabei, dass sie (ungewollt) Schützenhilfe durch Massenmedien erhält. Und das nicht nur aus dem Boulevard.
So beschrieb auch die FAZ im Februar unter dem Titel „Armutseinwanderung - Gefahr für den sozialen Frieden“ die Probleme, die Menschen aus Rumänien und Bulgarien ("die meisten Roma") den westdeutschen Städten bereiten. Der auf irreführendem Zahlenmaterial beruhende Artikel diente dem NPD-Kreisverband Rhein-Neckar als Vorlage. Unter dem Titel „'Armutseinwanderung' – Ab 2014 geht es erst richtig los!“ nimmt der Kreisvorsitzende Stellung und bezieht sich dabei ausdrücklich lobend auf die FAZ. Die NPD schreibt die ethnische Determination der Einwanderer fort: “Während früher nur von 'Osteuropäern' geredet wurde, sagt die FAZ, was eigentlich schon jeder weiß: 'Meist sind es Roma'.“
Wie viele Roma unter den Einwanderern tatsächlich sind, ist jedoch unbekannt. Das Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamtes unterscheidet ausdrücklich nicht nach ethnischen Zugehörigkeiten, sondern nach Staatsangehörigkeit und Herkunftsland.
NPD: Osteuropäer gleich Roma, gleich Zigeuner
Für die NPD ist rhetorisch der nächste Schritt von „Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien“ über „Roma“ bis zu „Zigeunern“ nicht mehr weit. Am 16. März schreibt der NPD Landesverband Bayern unter dem Titel „Lustig ist das Zigeunerleben“ über angebliche Kriminalitätsauswüchse in einer bayerischen Kleinstadt. Die NPD bezieht sich dabei – ohne nachvollziehbare Quelle – auf einen Artikel in der „Neu-Ulmer Zeitung“. Immer wieder ist die Rede von „Armutsflüchtlingen“ – stets in Anführungszeichen. Weiter im Text entwickeln sich daraus xenophobe Phrasen ohne jeden Beleg.
So werde aus Dortmund berichtet, „daß Zigeunerfamilien ihre Wohnungen innerhalb von 48 Stunden in eine Müllhalde verwandelten und selbst Kot und Urin im Treppenhaus hinterließen“. Weiter heißt es: „Aus zahlreichen deutschen Großstädten wissen wir, daß diejenigen, die seit einigen Monaten verstärkt aus Südosteuropa anreisen und Analphabetismus, Kriminalität und mittelalterliche Hygienezustände importieren, keineswegs rumänischstämmige Zuwanderer sind, sondern Zigeuner, die man nicht mehr als ‚Zigeuner‘ bezeichnen darf.“
Auch eine wechselseitige Befruchtung durch die Politik bleibt nicht aus. Etwa eine Woche nach der Meldung des Städtetags forderte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Interview mit dem ZDF heute journal eine Einreisesperre für bereits bekannte Sozialbetrüger. Osteuropäische Länder "müssen dafür sorgen, dass ihre Menschen daheim ordentliche Verhältnisse haben, so dass sie keinen Grund haben, nach Deutschland zu kommen." Man wolle darauf drängen, die entsprechenden EU-Programme voranzutreiben. "Wir zahlen nicht zweimal", sagte er in Hinblick auf Sozialleistungen für Einwanderer und Leistungen im Rahmen der EU.
Daraufhin erhielt er unter anderem Lob vom sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Mario Löffler, der sich fragt, ob der Innenminister "vom Baume der Erkenntnis gegessen" habe oder nur vom Ernst der Lage überwältigt sei. In jedem Fall forderte er eine konsequente Umsetzung der Ankündigungen. Kurz darauf erklärte Friedrich auf einem Treffen der EU-Innenminister, dass man jetzt über Probleme reden müsse, bevor es zu „einem Flächenbrand“ komme und das Thema zu einem „Sprengsatz für die europäische Solidarität“ werde.
Man wird salonfähig
Rechtsextremisten und Rechtspopulisten haben schon immer ähnlich argumentiert. Sie bedienen sich jedoch bevorzugt der Vorlagen, die ihnen von etablierter Politik und Qualitätsmedien angeboten werden. Warum, das erklärt der damalige Vorsitzende der NDP Udo Voigt 2010 im Politmagazin Report Mainz, im Zusammenhang mit islamfeindlichen Äußerungen von Thilo Sarrazin: Wenn sich etablierte Politiker trauen, solche Argumente zu äußern, werden "unsere Aussagen damit salonfähiger und es ist dann auch immer schwerer, Volksverhetzungsverurteilungen gegen NPD-Funktionäre anzustreben, wenn wir uns zur Ausländerpolitik äußern".
Nicht nur Neonazis versuchen, von den Debatten zu profitieren. In Nordrhein-Westfalen startete die rechtspopulistische Partei Pro NRW eine „Volksinitiative gegen Asylmissbrauch“. Mit Worten wie „Das Boot ist nicht nur voll, sondern droht bereits zu kentern“ knüpft die Partei an die Auseinandersetzungen zur Migration aus Osteuropa an. Dass die Kampagne der Rechtspopulisten vor allem auf Sinti und Roma abzielt, wird an ihren Forderungen deutlich, wie etwa die Abschaffung der Visa-Freiheit für Serbien und Mazedonien oder die Verzögerung der Freizügigkeitsregelungen für Rumänen und Bulgaren.
Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma, der sich selten in öffentliche Debatten einmischt, äußerte inzwischen seine Sorge, dass eine „Minderheit pauschal zu einer 'öffentlichen Gefahr' erklärt und dadurch öffentlich gebrandmarkt und massiv stigmatisiert“ werde. Der Zentralratsvorsitzende Romani Rose wandte sich mit einem Schreiben an Bundespräsident Joachim Gauck und bat um einen Appell in Richtung demokratischer Parteien, die ausschließlich gegen Roma und Sinti gerichteten Diskussionen über Kriminalität und Armutsflüchtlinge nicht weiter zum Wahlkampfthema zu machen.
Mitarbeit: Thilo Schmidt
Maik Baumgärtner ist Journalist und Experte für Rechtsextremismus und Rassismus. 2012 veröffentlichte er "Das Zwickauer Terror-Trio", eine Chronologie der Aktionen der drei Neonazi-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
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