Am 1. Januar 2005 trat das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Kraft. Gemeinsam mit der Integrationskursverordnung (IntV) vom 13. Dezember 2004 markiert es einen entscheidenden Schritt in der Migrations- und Integrationspolitik: Zum ersten Mal wurde in Deutschland ein zentrales, einheitliches und rechtlich verbindliches Konzept der Integrationsförderung eingeführt. Ein Kernelement bilden die Integrationskurse. Sprachwissenschaftler der Universität Potsdam hatten die Umsetzung der Kurse in einem Gast-Kommentar für den MEDIENDIENST einer kritischen Bilanz unterzogen. Darauf antwortet nun Dr. Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das für Integrationskurse zuständig ist.
„Deutschland ist ein Einwanderungsland!“ Was heute wie eine recht banale Feststellung klingt, war noch vor 15 Jahren ein heiß umstrittenes Thema – obwohl die Fakten schon damals für sich sprachen, denn vom Zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende waren schon mehrere Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert. Was jedoch bis dato fehlte, war eine kohärente, bundesweite Integrationspolitik und als wichtiger Teil davon ein einheitliches Grundangebot zum Erlernen der deutschen Sprache und zur Vermittlung von landeskundlichen Kenntnissen. Um die Jahrtausendwende stellten sich auch die damals politisch Verantwortlichen dieser Herausforderung.
Mehrjährige Fachdebatte
Bereits vor der Einführung der Integrationskurse startete eine mehrjährige Fachdebatte unter Wissenschaftlern, Praktikern und Behörden, wie ein solches Angebot aussehen sollte. Diskutiert wurde dabei unter anderem: Was soll das Zielniveau der Sprachkurse sein? In wie vielen Stunden kann dieses erreicht werden? Welche sprachlichen Fertigkeiten sollen vermittelt werden? Wie kann die Qualität gesichert und weiterentwickelt werden? Welche Inhalte sollen in den landeskundlichen Kursen vermittelt werden?
Dieser intensive Diskussionsprozess mündete schließlich in das System der Integrationskurse, das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verantwortet und gesteuert wird und in seiner Grundausrichtung bis heute fortbesteht: Zuwanderer sollen in 600 beziehungsweise 900 Stunden die deutsche Sprache bis zum Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) erwerben. Die gleichmäßige Ausbildung aller vier sprachlichen Fertigkeiten (Sprechen, Schreiben, Lese- und Hörverstehen) ist dabei notwendig, um sich in möglichst vielen Situationen des Alltags zu behaupten. Darüber hinaus werden nach dem Sprachkurs in einem 60-stündigen Orientierungskurs Kenntnisse über die Rechtsordnung, die Geschichte und Kultur Deutschlands vermittelt.
Neben dem allgemeinen Integrationskurs gibt es Kurse für spezielle Zielgruppen wie zu Alphabetisierende, Frauen, Eltern, junge Erwachsene und Menschen mit besonderem sprachpädagogischen Bedarf. Diese Differenzierung macht es möglich, jedem einzelnen das auf ihn passende Angebot zu unterbreiten.
Großes Interesse am Deutscherwerb
Vor zehn Jahren – Anfang 2005 – starteten die ersten Kurse. Weit über eine Million Teilnehmer haben seitdem einen Kurs begonnen. Schon nach kurzer Zeit belegten die Teilnehmerstatistiken die Attraktivität der Integrationskurse: Eine beträchtliche Zahl von Teilnehmenden sind gerade nicht Menschen, die neu nach Deutschland ziehen und zu einem Kursbesuch verpflichtet werden, sondern Menschen, die schon länger hier gelebt und sich freiwillig zu einem Kurs gemeldet hatten.
Dr. MANFRED SCHMIDT hat Rechts-wissenschaften an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt am Main studiert, wo er 1990 zum Dr. jur. promovierte. Im Anschluss arbeitete er in unterschiedlichen Positionen beim Bundesministerium des Innern (BMI). Seit 1. Dezember 2010 ist er Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
So zeigte sich einerseits die Flexibilität des Systems, andererseits aber auch, dass es viele Menschen gab, die von den bis dahin angebotenen Programmen nicht profitieren konnten und die ein großes Interesse daran hatten, ihre Deutschkenntnisse maßgeblich zu verbessern.
Zur Qualitätssicherung und -entwicklung der Kurse wurde beim Bundesministerium des Innern die zweimal im Jahr tagende "Bewertungskommission" eingerichtet. Das Gremium ist mit Wissenschaftlern, Vertretern von Trägerverbänden, Lehrbuchverlagen, dem Goethe-Institut sowie leitenden Mitarbeitern von integrationspolitisch relevanten Bundes- und Landesbehörden besetzt. Es hat die Aufgabe, das Geschehen rund um die Integrationskurse zu inhaltlichen und zu verfahrenstechnischen Aspekten kritisch zu begleiten und Empfehlungen zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Kurse zu geben.
Kontinuierliche Qualitätsentwicklung
Um die Kurse weiterzuentwickeln und eventuell noch vorhandene Schwachstellen zu identifizieren, wurden die Kurse gleich nach ihrem Start umfangreich auf ihre Umsetzung und Durchführung hin evaluiert. Ein Evaluationsbericht wurde im Dezember 2006 veröffentlicht. Zusammen mit den Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Integrationskurse verbessern“ im Rahmen des Nationalen Integrationsplans wurden viele Vorschläge zum Jahresende 2007 nach intensiven Beratungen umgesetzt und die Integrationskursverordnung entsprechend überarbeitet. Betroffen waren hiervon beispielsweise folgende Aspekte:
- Der Umfang des Deutschunterrichts wurde bei den Kursen für spezielle Zielgruppen von ehemals 600 auf jetzt bis zu 900 Unterrichtsstunden erhöht. Wer die Abschlussprüfung nicht besteht, kann noch einmal an 300 geförderten Unterrichtsstunden teilnehmen.
- Für Menschen, die schon länger in Deutschland leben, Deutsch jedoch vorwiegend ungesteuert gelernt haben, wurde mit dem so genannten Förderkurs ein neues, spezielles Angebot eingerichtet. Für Zuwanderer mit günstigen Lernvoraussetzungen wurde die Möglichkeit eingeführt, einen Integrationskurs mit nur 430 Unterrichtsstunden als Intensivkurs zu absolvieren.
Unabhängig davon gab es in den letzten zehn Jahren laufend weitere wichtige Verbesserungen im System der Integrationskurse:
- Um den Fortschritt möglichst aller Teilnehmenden zu dokumentieren, wurde mit dem Deutsch-Test für Zuwanderer" (DTZ) eine eigens auf die Zielgruppe des Integrationskurses zugeschnittene skalierte Sprachprüfung entwickelt. Der seit Juli 2009 eingesetzte DTZ fußt auf dem „Rahmencurriculum Integrationskurse – Deutsch als Zweitsprache“ und kann Deutschkenntnisse sowohl auf dem Sprachniveau B1 als auch auf A2 abbilden. Dies ermöglicht vielen Teilnehmenden, ihre im Kurs erreichten sprachlichen Kompetenzen auch dann offiziell nachzuweisen, wenn sie das angestrebte gesetzliche Ziel B1 nicht erreicht haben.
- Das Erreichen des Sprachniveaus A2 und weiterer Kompetenzen wie die Fähigkeit, einfache Texte zu verstehen und zu schreiben, ist für viele Teilnehmende ein enormer Fortschritt und gleichzeitig eine herausragende Leistung, insbesondere für jene, die als Analphabeten beginnen. Mit dem DTZ werden auch solche Leistungen anerkannt und wertgeschätzt.
- Die Stundenzahl des Orientierungskurses wurde in zwei Schritten von ursprünglich 30 auf nunmehr 60 Stunden erhöht. Parallel dazu wurde der dazugehörige Abschlusstest "Leben in Deutschland" (LID) entwickelt, der seit April 2013 eingesetzt wird. Er ist wie der DTZ ebenfalls skaliert und bietet beim Erreichen einer bestimmten Punktzahl die Möglichkeit, schon nach sieben und nicht wie normalerweise nach acht Jahren in das Einbürgerungsverfahren einzutreten.
Integrationskurse fördern nicht nur Deutschkenntnisse
Bereits im Jahr 2007 wurde mit dem so genannten "Integrationspanel" eine weitere breit angelegte Evaluierung der Kurse begonnen. Diese hatte zum Ziel, die Wirkungen des Integrationskurses auch über den Spracherwerb hinaus zu beleuchten und dazu zusätzlich die Aspekte Arbeitsmarktintegration, soziale Netzwerke und Verbundenheitsgefühle zu untersuchen. Das "Integrationspanel" wurde Ende 2011 veröffentlicht und brachte unter anderem folgende Ergebnisse zu Tage:
- Integrationskursteilnehmende konnten ihre Sprachkompetenz im Kursverlauf stärker steigern als Personen, die nie an einem Integrationskurs teilnahmen.
- Die Teilnahme an einem Integrationskurs befähigt vor allem diejenigen Zuwanderer, Deutsch zu lernen, die ohne Kursteilnahme ihre Sprachkenntnisse kaum weiterentwickelt hätten – dies betrifft insbesondere Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau.
- Die Kursteilnehmenden selber bewerten die Integrationskurse mehrheitlich positiv. Dabei haben zur Kursteilnahme verpflichtete Personen genauso viel Spaß am Kurs wie Nicht-Verpflichtete. Die Mehrheit der Befragten gibt rückblickend an, viel oder sehr viel Deutsch im Integrationskurs gelernt zu haben. Rund drei Viertel der Teilnehmenden sehen ihre Erwartungen an den Integrationskurs erfüllt.
- Neben dem Erwerb der Deutschkenntnisse fördert der Integrationskurs Kontakte mit anderen, Verbundenheitsgefühle mit Deutschland und bietet die Basis für eine spätere Integration in den Arbeitsmarkt.
Als staatliches Angebot der sprachlichen Grundförderung legt der Integrationskurs die entscheidende Basis für weitere Schritte hin zur gleichberechtigten Teilhabe. Dass dies in weiten Teilen funktioniert, belegen die oben dargestellten Ergebnisse. Die konzeptionell vorwiegend auf den Deutscherwerb ausgerichteten Kurse haben sich langfristig als echte Integrations-Kurse erwiesen. Aber die Gleichung "Besuch des Integrationskurses = erfolgreiche Integration" wäre natürlich zu einfach. Es ist unbestritten, dass danach weitere Schritte folgen müssen, dass zur gleichberechtigten Teilhabe mehr gehört. Doch auch dieser Prozess wird durch den vorherigen Besuch eines Integrationskurses wesentlich erleichtert.
Bei den Integrationskursen kann also von einer Erfolgsgeschichte gesprochen werden. Anfragen aus dem europäischen Ausland zeigen, dass dies auch auf internationaler Ebene wahrgenommen wird. Eine der wichtigsten Faktoren für den Erfolg ist es nach meiner Auffassung, dass das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei jeder wichtigen Weiterentwicklung der Integrationskurse regelmäßig alle Beteiligten mit ins Boot holen, breite Fachdiskurse ermöglichen und somit Neuregelungen und Änderungen stets auf breite Füße stellen.
Herausforderungen für die Zukunft
Seit 2011 ist Deutschland wieder ein „Netto-Zuwanderungsland“, was hauptsächlich der stark steigenden Zuwanderung von Menschen aus der Europäischen Union geschuldet ist, die mittlerweile rund 60 Prozent der Neuzuwanderer nach Deutschland ausmachen. Diese Entwicklung macht sich auch an stark steigenden Teilnehmerzahlen insgesamt sowie an der Zusammensetzung der einzelnen Kurse bemerkbar: Kamen 2010 nur ein Zehntel der Kursteilnehmenden aus EU-Ländern, so waren es im Jahr 2014 bereits 45 Prozent, bei gleichzeitig absolut steigenden Kursteilnehmerzahlen. Dies bedeutet Herausforderungen sowohl quantitativ – bezüglich der Kapazitäten bei den Kursträgern – als auch qualitativ durch veränderte Ansprüche und Voraussetzungen der Zielgruppe.
Weitere Herausforderungen liegen im rasanten technologischen und gesellschaftlichen Wandel und in den damit einhergehenden sich stark verändernden Arbeits- und Lebensbedingungen. Ein nach einheitlichen Qualitätsstandards konzipiertes und in der Durchführung flexibles Angebot der Sprachförderung ist dabei am besten in der Lage, Zuwanderern trotz unterschiedlicher Zugangsvoraussetzungen einen guten Start zu ermöglichen. Ich bin mir sicher: Indem wir auch künftig alle Beteiligten in die kommenden Entwicklungsprozesse einbeziehen, werden wir auch diese Herausforderungen bewältigen.
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