Die Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen so viele Reformen beschlossen, dass es für Außenstehende immer schwerer wird, die rechtliche Lage zu überblicken. Nach monatelangen Diskussionen hat sie sich Anfang Februar auf das "Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren" (Asylpaket II) geeinigt. Doch schon im Oktober 2015 war das "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" (Asylpaket I) in Kraft getreten. Und im Januar hatte die Bundesregierung beschlossen, das Asyl- und Ausweisungsrecht verschärfen zu wollen.
Nun sollen folgende Änderungen vorgenommen werden:
- Der Familiennachzug für "subsidiär Schutzberechtigte" soll für zwei Jahre ausgesetzt werden. Dieser Entschluss ist allerdings umstritten. Die Koalitionspartner sind sich uneinig, ob auch minderjährige Flüchtlinge davon betroffen sein sollen. Überraschend hitzig ist die Debatte, da von der Regelung in jedem Fall nur sehr wenige Menschen betroffen wären: Nur etwa 0,6 Prozent der Asylbewerber erhielten im Jahr 2015 den vergleichsweise geringeren "subsidiären" Schutz.
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Asylbewerber aus diesen Staaten sollen künftig in besonderen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, wo ihre Anträge im Eilverfahren bearbeitet werden. Das gilt auch für Asylbewerber, die im Verdacht stehen, nicht genügend zu kooperieren – etwa weil sie ihre Personalpapiere vernichtet oder falsche Angaben gemacht haben könnten. Ihnen ist es untersagt, den zugewiesenen Ort zu verlassen.
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Abschiebungen scheitern meist daran, dass die Ausgewiesenen einen bedenklichen Gesundheitszustand nachweisen. Künftig soll davon nur noch verschont werden, wer eine besonders schwere Krankheit nach strengeren Attest-Vorgaben belegen kann.
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Flüchtlinge sollen sich künftig mit zehn Euro pro Monat an den Kosten für Integrationskurse beteiligen.
Auch der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise, hat in einer Pressekonferenz neue Ziele für Asylverfahren gesteckt: Anträge von Asylbewerbern mit besonders guter oder schlechter Perspektive sollen in Zukunft binnen 48 Stunden abgeschlossen sein. Mit Hilfe neuer Verfahren will das Amt die Asylanträge dieser Flüchtlingsgruppen bereits in den Ankunftszentren bearbeiten. Insgesamt strebe man für 2016 an, rund 1,2 Mio Asylanträge zu entscheiden.
Asylverfahren in 48 Stunden?
In einem Expertengepräch des MEDIENDIENSTES blieben die Experten skeptisch, was diese Vorhaben angeht: Sie seien unrealistisch und manche sogar verfassungsrechtlich fraglich. Das gesamte Asylpaket II sei "mit heißer Nadel gestrickt", erklärte etwa die Frankfurter Rechtswissenschaftlerin Astrid Wallrabenstein. Wirklich neu sei lediglich der Wunsch nach eingeschränktem Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte. Sie befürchtet hierbei jedoch einen Verstoß gegen das Recht auf Familienschutz: "Offenbar hat sich keiner vorher über völker- und verfassungsrechtliche Fragen Gedanken gemacht."
Rechtsanwalt Bernward Ostrop hält "die Angst vor Millionen nachkommenden Familienmitgliedern" ohnehin für unbegründet. Laut Bundesregierung hatten 2015 rund 200.000 Menschen Anspruch auf Familiennachzug. Lediglich 18.400 Visa wurden von 2014 bis Oktober 2015 an syrische Familienmitgliedern erteilt. Ostrop kritisiert, dass der Familiennachzug bereits ohne Reform Flüchtlinge vor große Probleme stelle: Vor allem die langen Wartezeiten auf Visa im Ausland seien eine große Hürde. Schutzbedürftige Familienmitglieder, die sich beispielsweise noch in der Türkei aufhalten, könnten dadurch so sehr in finanzielle Not geraten, dass sie nach Syrien zurückkehren müssen.
Auch die geplanten Schnellverfahren in den neuen Aufnahmezentren sehen die Asylrechtler kritisch. Statt zu schnelleren Bearbeitungszeiten führten die neuen Regelungen vielmehr dazu, faire und gründliche Verfahren zu verhindern: "Verkürzte Fristen machen es schwer, Anträge individuell zu prüfen und unabhängige Berater bereitzustellen. Das gefährdet den Rechtsstaat", so Ostrop.
Problematisch sei hierbei auch, wenn Asylanträge je nach Herkunftsstaat unterschiedlich schnell bearbeitet werden. Schon im ersten Asylpaket wurde die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" erweitert. Nun werden diese noch mit Sonderbehandlungen verknüpft. Das widerspreche dem Grundgesetz, dass niemand auf Grund seiner Herkunft benachteiligt werden darf, kritisierte Juraprofessorin Wallrabenstein.
Sie prognostiziert: "Diese Reformen werden noch eine Reihe an Klagen nach sich ziehen". Statt kürzere Bearbeitungszeiten brächten die Asylrechtsverschärfungen womöglich noch mehr Verfahren für die bereits überlasteten Gerichte.
Jochen Oltmer, Historiker am Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien, sieht die geplante Gesetzesreform aus zwei Gründen kritisch:
- Die Debatte zur Verfahrensbeschleunigung sei "so alt, wie die Asyldebatte selbst". Nach Jahrzehnten von Reformen und Debatten rechnet er nicht damit, dass die kurzfristig beschlossenen Einzelmaßnahmen die Praxis nun plötzlich beschleunigen.
- Mit den jüngsten Gesetzesreformen wolle die Koalition die Zuwanderung reduzieren und die Rückkehr ins Heimatland beschleunigen. Doch beides sei schon nach dem ersten Asylpaket im Herbst nicht eingetreten. Die neuen Reformen sollen darüber hinwegtäuschen: "Wenn man Maßnahmen nicht umsetzen kann, muss man eben neue Maßnahmen schaffen", so der Historiker.
Von Milena Jovanovic
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