Erleichtert verkündeten die Regierungsparteien Ende Januar, dass sie sich auf das neue "Asylpaket II" geeinigt hätten. Vorausgegangen war unter anderem ein monatelanger Streit über die Frage: Soll der Familiennachzug für "subsidiär Schutzberechtigte" ausgesetzt werden? Und soll dies auch bei unbegleiteten Minderjährigen gelten? Nach dem neuesten Gesetzentwurf: Ja.
Ein Blick auf die Zahlen wirft aber die Frage auf, wie relevant diese Regelung überhaupt ist, die in Kürze vom Bundestag verabschiedet werden soll: Im Jahr 2015 haben nur etwa 1.700 Menschen einen subsidiären Schutz zugesprochen bekommen. Damit liegt ihr Anteil lediglich bei 0,6 Prozent aller bearbeiteten Asylanträge in Deutschland. Der Familiennachzug bei Minderjährigen in dieser Gruppe betrifft sogar nur Einzelne: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht von 105 Kindern im letzten Jahr aus, wie es auf Anfrage des MEDIENDIENSTES bestätigte.
Was bedeutet "subsidiär schutzberechtigt"?
Derzeit bekommen die meisten Menschen, deren Asylantrag erfolgreich ist, einen Status als "anerkannter Flüchtling" nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Im vergangenen Jahr waren es über 97 Prozent. In wenigen Fällen (etwas mehr als einem Prozent) erteilte das BAMF auch politisches Asyl nach dem Grundgesetz.Quelle
Bekommen Asylbewerber keinen Asyl- oder Flüchtlingsschutz, bleibt ihnen noch die Möglichkeit, subsidiären oder "behelfsmäßigen" Schutz zu bekommen. Voraussetzung dafür ist laut Asylgesetz, dass sie nachweisen können, dass ihnen im Herkunftsland ein "ernsthafter Schaden" droht. Gründe können sein:
- eine Bedrohung durch "willkürlicher Gewalt", zum Beispiel in einem Bürgerkrieg,
- drohende Folter oder
- die Todesstrafe.
In der Praxis vergibt das BAMF diesen Schutz nur sehr selten und die Begründungen sind kompliziert. Die meisten subsidiär Schutzberechtigten im letzten Jahr kamen aus Eritrea (347 Fälle). Dort herrscht seit 1993 ein totalitärer Militärstaat. Vollständige Überwachung und willkürliche Festnahmen sind an der Tagesordnung.
Einschränkungen für subsidiär Schutzberechtigte
Wer diesen behelfsmäßigen Schutz bekommt, ist den anderen Flüchtlingsgruppen weitgehend gleichgestellt, zum Beispiel bei den Arbeitsmöglichkeiten, bei Integrationskursen oder beim BAfÖG. Doch es gibt zwei wichtige Einschränkungen: Ihre Aufenthaltserlaubnis ist auf ein Jahr befristet. Bei den anderen anerkannten Flüchtlingen gilt sie für drei Jahre. Und: Nur bei subsidiär Schutzberechtigten kann der Gesetzgeber den Familiennachzug beschränken.
Bei Menschen mit Asyl- oder Flüchtlingsschutz sei der Familiennachzug "völkerrechtlich abgesichert", erklärt dazu Bernward Ostrop, Rechtsanwalt für Asylrecht in Berlin. Bei der Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten scheint die Regierung "eine Lücke gesehen zu haben", sagt er. Hier könnte also einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen untersagt werden, ihre Familienangehörigen nach Deutschland zu holen. Der Asylrechtler geht von einer gewünschten "Signalwirkung" aus: "Die politische Botschaft lautet: Wir wollen keine Familienzusammenführung", so Ostrop.
Die praktischen Folgen der Einschränkung für Familienangehörige dürften indes eher gering sein. Diese Einschätzung teilt auch Albrecht Weber, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht. Man könne zwar den Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten einschränken, aufgrund der EU-Richtlinie für Familienzusammenführung.
In der Praxis müsse aber auch hier sorgfältig geprüft werden, ob zum Schutz der Familieneinheit und des Kindeswohls ein Familiennachzug zuzulassen ist. Denn im Zweifel gehen die menschenrechtlichen Verpflichtungen aus europäischen und internationalen Rechtstexten vor.
Familiennachzug ist ohnehin selten
Unabhängig vom Schutzstatus ist der Familiennachzug längst nicht so hoch, wie es in den Debatten den Anschein hat. In den letzten beiden Jahren haben laut Bundesregierung nur 18.400 Syrer ein Visum erhalten, das für den Familiennachzug ausgestellt wurde. Demnach warten außerdem etwa 45.000 Syrer im Ausland auf eine Bearbeitung ihrer Visa-Anträge.
Für viele anerkannte Flüchtlinge ist es ohnehin nahezu unmöglich, ein Visum für ihre Familienangehörigen zu bekommen, besonders für Syrer. Grund dafür sind die geltenden Visa-Regelungen: Der Antrag muss von den Familienangehörigen im Ausland selbst gestellt werden – zum Beispiel in einer deutschen Botschaft oder einem Konsulat. Hier gibt es lange Wartezeiten: In der Türkei müssen syrische Bürger teilweise länger als ein Jahr warten, um einen Termin zu erhalten.
Regierung will mehr Asylbewerbern subsidiären Schutz geben
Das Bundesinnenministerium drängt seit Längerem darauf, dass mehr Menschen nur den subsidiären Schutz erhalten. Im November 2015 hatte das Ministerium dazu eine Anweisung an das BAMF erteilt: So sollte Syrern nur noch der eingeschränkte Schutz gewährt werden. Nach Debatten in der Koalition wurde das vorerst zurückgenommen. Doch der Bundesinnenminister arbeitet weiter darauf hin, dass mehr Asylbewerber subsidiären Schutz bekommen.
Angesichts von mehr als 360.000 Asylanträgen, die sich in den Behörden stauen, und den weiterhin hohen Flüchtlingszahlen könnte das jedoch zu einem neuen Verwaltungsstau führen. Die Ausländerbehörden müssten bei allen subsidiär Schutzberechtigten bereits nach zwölf Monaten die Akte hervorholen und die Aufenthaltserlaubnis verlängern. Nur wenn sich die politische Situation in Syrien ändert, könnten sie ihren Schutz verlieren. Doch laut Ostrop sei dafür mindestens ein "Regimewechsel" nötig. Und damit rechnet derzeit niemand.
Von Carsten Janke
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