Seit der militärischen Intervention Israels in Gaza gibt es auch in Deutschland heftige Proteste. Die Berichte dazu waren oft von Bildern geprägt, die Menschen mit Migrationshintergrund zeigen, manche von ihnen mit antisemitischen Plakaten in der Hand. Ungeachtet dessen, dass auch Herkunftsdeutsche an denselben Demonstrationen – und zwar mit ähnlichen Plakaten – teilnahmen, wurde der Eindruck vermittelt, der Anti-Israel Protest gehe maßgeblich von Muslimen aus, die einen sogenannten Migrationshintergrund haben.Einige Beobachter folgerten daraus, dass die begleitenden Ausbrüche von Antisemitismus womöglich ein Produkt der Einwanderungsgesellschaft seien. Die Vertreter dieser These bezogen sich dabei auf die Tatsache, dass vor allem im arabischen Ausland antisemitische Propaganda produziert werde, die in den hiesigen Einwanderergemeinschaften Verbreitung findet.#879#Dazu gilt es festzuhalten: Moderne Formen des Antisemitismus – vor allem wenn sie in Verbindung mit Israelkritik vorkommen – werden in der sogenannten Mitte der Gesellschaft massiv geteilt. Deshalb stellt sich die Frage, ob dieser derzeit beobachtete Antisemitismus eher durch ausländische Propaganda beeinflusst wurde oder ob er an Einstellungen in der hiesigen Gesellschaft anknüpft. Wie von der Forschung vielfach belegt, geht Migration meistens mit Akkulturation einher, also der Annahme und Veränderung von kulturellen Elementen. Dazu gehören auch Vorurteile. Das heißt, dass Menschen, die nach Deutschland ziehen, sich auch die Vorurteile aneignen, die es im Land gibt.
Antisemitismus hat wenig mit Migration zu tun
So belegen die Studien der Universität Bielefeld zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, dass es keine gravierenden Unterschiede zwischen den antisemitischen Vorurteilen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gibt, sofern sie nicht extremistisch orientiert sind. In diesem Sinn kann Antisemitismus paradoxerweise ein „Integrationseffekt“ sein, denn Integration kann auch über das Lernen von Vorurteilen erfolgen, weil diese Zugehörigkeit und Identität befriedigen.An unserem Institut haben Jürgen Mansel und Viktoria Spaiser sehr umfangreich Jugendliche mit Migrationshintergrund in Bezug auf ihre Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit befragtMit Blick auf muslimische Jugendliche zeigte sich dabei sehr deutlich: Antisemitische Vorurteile haben weder mit Migrationserfahrungen noch mit der familiären Erziehung zu tun.Wenn Jugendliche antisemitische Vorurteile aufweisen, dann sind diese oftmals mit Benachteiligungsgefühlen und –erfahrungen verbunden. Sie verbinden (meist unbewusst) ihre eigenen Erfahrungen von Diskriminierung und Abwertung mit dem Leid von Muslimen weltweit (Sinnbild Palästinenser – Muslime als Opfer). Daraus entsteht ein Gefühl einer weltweit gedemütigten Schicksalsgemeinschaft.