Islamische Gemeinden kontaktieren
Ramadan in Deutschland oder Bau einer neuen Moschee: Für journalistische Beiträge mit islamischen Gemeinden braucht man Kontakte zu Moscheen. Ansprechpersonen zu finden, ist oft nicht leicht: Viele islamische Gemeinden haben keine Sekretariate oder Pressestellen. Auch Berührungsängste und Skepsis zwischen muslimischen Akteur*innen und nichtmuslimischen Journalist*innen können die Kontaktaufnahme und Interviews erschweren. Wir haben Tipps von Islamwissenschaftler*innen und Fachjournalist*innen gesammelt:
BEI DER RECHERCHE
Telefonisch Kontakt aufnehmen: Die Arbeit in vielen Moscheegemeinden beruht auf ehrenamtlichem Engagement. Es fehlen Mittel für professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Kommunikation findet meist über persönliche Kontakte per Handy statt. Versuchen Sie, über die Webseiten oder über Vermittlungspersonen Handynummern von Verantwortlichen der Gemeinde zu erhalten. Wenn Sie niemanden erreichen, fahren Sie einfach bei der Gemeinde vorbei.
Vertrauen aufbauen und Zeit mitbringen: Journalist*innen berichten oft, dass Gemeindevertreter*innen beim ersten Kontakt zurückhaltend bis skeptisch sind. Einige Gemeinden haben schlechte Erfahrungen mit Medien gemacht. Studien zeigen, dass Medien über den Islam und Muslim*innen oft berichten, wenn es um Gewalt oder gescheiterte Integration geht. Um Vertrauen aufzubauen, kann es helfen, Zeit für ein Vorgespräch einzuplanen. Dabei können Sie sich vorstellen, sich zunächst die Moschee zeigen lassen und etwas über das alltägliche Gemeindeleben erfahren. Neben einem professionellen Vertrauensverhältnis gilt es wie mit anderen Gesprächspartner*innen auch hier, kritische Distanz zu wahren.
Journalistische Arbeitsweise erklären: Gemeindevertreter*innen sind oft nicht geschult im Umgang mit Journalist*innen. Manchmal gibt es wenig Wissen darüber, wie Journalist*innen arbeiten. Hilfreich ist, das Thema des Beitrags zu nennen und transparent zu machen, warum man die Person oder Gemeinde als Interviewpartner*in ausgewählt hat. Wenn es sich anbietet, können Journalist*innen die eigene Arbeitsweise erklären, etwa zur Autorisierung von Zitaten.
Netzwerke aufbauen: Für Islamberichterstattung sind Kontakte und Handynummern von Vermittlungspersonen unerlässlich. Unabhängig von konkreten Recherchen lohnt es sich, Zeit und Geduld in den Aufbau eines Netzwerks zu investieren. Anlaufstellen dafür sind etwa
• Tag der offenen Moschee (jährlich am 3. Oktober in vielen Gemeinden)
• Dialog- oder Regionalbeauftragte islamischer Verbände, die die Gemeinden hauptamtlich betreuen. Eine Kontaktliste einiger Verbände finden Sie hier (Stand 2021).
• Tagungen der Institute für islamische Theologie an Hochschulen und Unis
• Zivilgesellschaftliche islamische Organisationen aus Bereichen wie Umweltschutz, Jugendarbeit, Kultur. Eine Kontaktliste finden Sie hier (Stand 2021).
• Islamberatungsstellen in Baden-Württemberg und Bayern
Umgang mit Extremismusverdacht: Bei der Recherche zu muslimischen Akteur*innen stoßen Journalist*innen immer wieder auf Vorwürfe, die Person oder die Gemeinde sei extremistisch oder habe Kontakte zu Islamisten. Die Herausforderung: Weder Extremisten eine Plattform bieten, noch antimuslimische Vorurteile übernehmen. Um zu prüfen, ob der Extremismusverdacht begründet ist, können Sie:
• langjährige Kooperationspartner*innen der Moscheegemeinden befragen, z.B. christliche oder jüdische Gemeinden,
• Ziele und Handeln der verdächtigten Akteur*innen abgleichen und auf Widersprüche prüfen,
• Vorwürfe ansprechen und eigenen Eindruck gewinnen: Wirken die Beschuldigten glaubhaft und integer? Sind ihre Haltungen plausibel?
• Expert*innen aus der Wissenschaft um Einordnung bitten. Der MEDIENDIENST vermittelt Kontakte für Interviews und Hintergrundgespräche innerhalb von 30 Minuten,
• Verfassungsschutzberichte hinterfragen: Werden Belege für extremistische Einstellungen oder Aktivitäten genannt? Wurde die Gemeinde vor Jahren in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt, mittlerweile aber nicht mehr?
• Wird nach Razzien bei Moscheen bekannt, ob sich der Verdacht erhärtet hat?
IM BEITRAG
Einordnung "umstrittener" Verbände: Viele Moscheen gehören islamischen Verbänden an, die teilweise umstritten sind - etwa der DITIB-Verband, der dem türkischen Staat untersteht. Journalist*innen stehen vor der Frage, ob sie in ihrem Beitrag über eine Moscheegemeinde den Verband einordnen sollen oder nicht. Sie müssen abwägen zwischen kritischer Distanz auf der einen Seite und einer Verdachtskultur gegen islamische Gemeinden auf der anderen. Leitfragen für die Entscheidung:
• Ist die Einordnung des Verbands für das Thema des Beitrags notwendig und relevant? Geht es im Beitrag um einen politischen Skandal des Verbands oder um die Atmosphäre beim Fastenbrechen im Ramadan?
• Je nach Relevanz abwägen, ob die Einordnung am Anfang des Beitrags steht, später erfolgt oder ausbleiben kann.
• Wenn eine Einordnung des Verbands erfolgt: Benennen, warum der Verband umstritten ist und von wem er kritisiert wird.
Begriffe "islamisch" und "muslimisch" richtig verwenden: "muslimisch" steht für Personen: muslimische Podcasterin, muslimischer Vater, muslimische Bevölkerung. "Islamisch" steht für Objekte und theologische Konzepte: islamische Länder, islamische Gemeinde, islamische Fastenregeln. Infos zu Begriffen im Themenfeld Islame und Muslim*innen bietet das Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher*innen.
LINKS & QUELLEN
Wo können sich Journalist*innen informieren?
• Kostenloser Onlinekurs "Islamische Gemeinden kontaktieren" (Mediendienst Integration), LINK
• Werner Schiffauer: Expertise zu Extermismusverdacht gegen Moscheegemeinden und "Kontaktschuld", LINK
• Onlinedossier "Islam und Muslime" (Mediendienst Integration), LINK
• Onlinedossier "Antimuslimischer Rassismus" (Mediendienst Integration), LINK
• Glossar "Muslim*innen" (Neue deutsche Medienmacher*innen), LINK
• Onlinedossier "'Der Islam' und Muslim*innen in den Medien" (Mediendienst Integration), LINK
• Tim Karis: "Muslime in den Medien", LINK