Vor einem Jahr verabschiedete Berlin als erstes Bundesland ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG). Ziel des Gesetzes ist es, Personen vor Diskriminierung durch Behörden zu schützen. Also vor Racial Profiling durch Polizist*innen, vor Diskriminierung durch die Schule oder das Jugendamt. Zwar gibt es auf Bundesebene das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das gilt aber nur für das Arbeitsleben und sogenannte Alltagsgeschäfte wie einen Restaurantbesuch oder den Abschluss einer Versicherung.
Zivilgesellschaftliche Organisationen lobten das LADG. Vehementer Protest kam von Polizeigewerkschaften, sie warnten vor Klagewellen. Innenminister mehrerer Bundesländer kündigten an, keine Polizeibeamt*innen mehr nach Berlin zu entsenden. Die ersten Erfahrungen aus Berlin zeigen: die Klageflut bleibt aus. Bei der neuen Ombudsstelle gingen bisher 315 Beschwerden ein. 50 richteten sich gegen die Polizei, 38 davon fallen in den Anwedungsbereich des LADG. Geklagt hat bislang niemand.
Was besagt das Berliner Gesetz?
Mit dem Berliner LADG:
- steht Betroffenen Schadenersatz zu.
- müssen Betroffene nicht selbst klagen, sondern Verbände können das für sie übernehmen (Verbandsklagerecht).
- gilt eine Beweislasterleichterung: Die betroffene Person muss vor Gericht glaubhaft machen – und nicht vollständig beweisen –, dass sie Diskriminierung erlebt hat. Wenn das gelingt, muss die andere Seite beweisen, dass sie nicht diskriminiert hat. Auch im AGG ist das so geregelt. Es handelt sich nicht um eine Beweislastumkehr.
- wurde eine Ombudsstelle eingerichtet: Sie berät Betroffene, vermittelt in Streitfällen und kann Gutachten einholen. Die Behörden müssen der Stelle Auskunft geben.
- verpflichtet sich Berlin zur "Wertschätzung von Vielfalt" in der Verwaltung.
Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?
Mehrere Bundesländer könnten nun nachziehen, besonders weit sind die Pläne aber noch nicht. Das zeigt eine Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den zuständigen Ministerien: Brandenburg, Hamburg, Hessen und Sachsen wollen überprüfen, ob es gesetzliche Lücken beim Diskriminierungsschutz gibt und ob es dafür ein Gesetz braucht.
Konkreter sieht es in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg aus: In beiden Bundesländern haben sich die neuen Koalitionen im Mai darauf geeinigt, ein LADG auf den Weg zu bringen. Auch die Regierung in Thüringen spricht sich für ein Gesetz aus, vor der Landtagswahl im Herbst wird sie aber dahingehend nichts unternehmen.
Kein LADG planen Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
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"Bundesländer müssen handeln"
Der Berliner Senat setzt nach eigenen Angaben mit dem LAGD eine europarechtliche Vorgabe um und schließt eine Gesetzeslücke. Andere Bundesländer sehen hingegen keine Lücke. Bayern und Sachsen-Anhalt verweisen beispielsweise darauf, dass das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz ausreichend sei.
Gibt es nun Schutzlücken oder nicht? "Ja, die gibt es", sagt der Jurist Alexander Tischbirek von der Universität Regensburg. Und zwar im Bildungsbereich: Die Antirassismusrichtlinie der EU sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten rassistische Diskriminierung bekämpfen müssen – unter anderem im Arbeitsleben und in der Bildung. Das Arbeitsleben ist durch das AGG abgedeckt. "Da das Bildungswesen wesentlich in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, müssen die handeln – aber bisher hat hier nur Berlin die Richtlinie mit dem LADG umgesetzt", so Tischbirek.
Dafür reicht auch nicht, wie manche Bundesländer sagen, der Artikel 3 im Grundgesetz aus. Der ist dem Jurist zufolge nicht konkret genug ausformuliert: "Es ist nicht klar, was alles unter den Benachteiligungsbegriff des Grundgesetzes fällt – etwa auch bestimmte Belästigungen oder mittelbare Diskriminierungen?". Auch das Bundesverfassungsgericht habe das bislang nicht klargestellt. Für Betroffene sei es deshalb riskant, allein unter Berufung auf das Grundgesetz zu klagen.
Kläger*innen müssen Glück mit dem Gericht haben
Ein weiteres Defizit sieht Tischbirek bei der Beweislast: Die EU-Vorgaben fordern eine Beweislasterleichterung, wie sie im Berliner LADG festgeschrieben ist. Die ist zumindest vor manchen Gerichten gefordert, da es sehr schwer ist, Diskriminierung zu beweisen. Betroffene müssen demnach allein bestimmte Indizien glaubhaft machen, dass die Diskriminierung vorliegt. Gelingt das, muss die andere Seite das Gegenteil belegen, nämlich dass keine Diskriminierung gegeben ist.
Gerichte können die Beweislasterleichterung schon jetzt auch ohne ein LADG anwenden. Dazu sagt Tischbirek aber: "Wenn etwa eine Schülerin wegen Diskriminierung klagt, muss sie Glück haben: Wenn das Gericht fit ist, leitet es eine Beweislasterleichterung bereits aus der Verfassung oder – zumindest vor den ordentlichen Gerichten – aus der Antirassismusrichtlinie ab, wenn nicht, dann nicht." Deshalb müsse die Erleichterung gesetzlich festgeschrieben werden.
Auch mit der Beweislasterleichterung ist es immer noch schwer, Schadensersatz und Entschädigung einzuklagen", betont Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland (ADVD). Das zeigen die Erfahrungen mit dem AGG. Die Regelung eröffnet aber Betroffenen oftmals erst die Möglichkeit, gegen die Diskriminierung rechtlich vorzugehen."
An einigen Stellen gehe das Berliner LADG über das hinaus, was europarechtlich gefordert wird. Zum Beispiel hat sich das Land verpflichtet, Diversität in der Verwaltung zu fördern. "Wenn Bundesländer sich Antidiskriminierungsprinzipien verschreiben, dann ist es konsequent, dass sie auch das gesamte Handeln des Landes darunter stellen", sagt Andrades.
Nächster Kandidat Baden-Württemberg?
In Baden-Württemberg will die neue Landesregierung ein Landesantidiskriminierungsgesetz einführen. Bereits im Vorfeld protestierten Polizeigewerkschaften. Die Beamt*innengewerkschaft BBW Beamtenbund Tarifunion kündigte an, das Vorhaben zu stoppen. Dabei ist noch gar nicht klar, was im Gesetz stehen wird.
"Es ist sensationell, dass das LADG überhaupt im Koalitionsvertrag steht", sagt Andreas Foitzik von der Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung Baden-Württemberg. Die Erfahrungen aus Berlin würden nur bedingt helfen. Sobald ein weiteres Bundesland ein LADG verabschiedet hat, werde es auch für andere Bundesländer einfacher werden, ein Gesetz auf den Weg zu bringen.
Von Andrea Pürckhauer
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