Auf Baustellen, bei Pflegediensten oder in Fleischfabriken: Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland sind in vielen Bereichen unverzichtbar. Rund eine halbe Million Menschen kommen jedes Jahr vorübergehend zum Arbeiten nach Deutschland. Ähnlich wie "Leiharbeiter" werden "entsendete" Arbeitskräfte von Unternehmen im Ausland eine Zeit lang nach Deutschland geschickt. Viele arbeiten zu geringen Löhnen und leben in prekären Sammelunterkünften. Das will die Bundesregierung ändern.Quelle
Was plant die Bundesregierung?
Die Regierung muss eine EU-Richtlinie umsetzen, die 2018 geändert wurde. Deshalb hat das Kabinett jetzt einen Entwurf beschlossen, der Verbesserungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz vorsieht. Zum Beispiel:
- "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort". Entsendete Arbeitskräfte sollen den gleichen Tariflohn erhalten wie "einheimische" Arbeitskräfte.
- Kosten für Unterkünfte oder Transport zum Arbeitsort dürfen nicht mehr vom Mindestlohn abgezogen werden.
- Unterkünfte für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen Mindeststandards erfüllen.
- Die Dauer von Entsendungen wird auf 12 Monate begrenzt. Nach Antrag kann sie auf 18 Monate verlängert werden.Quelle
Gewerkschaftsnahe Fachleute befürchten, dass die Änderungen nicht ausreichend kontrolliert werden und sich am Alltag der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenig verbessern wird. Arbeitgebernahe Fachleute halten die neuen Regeln für zu kompliziert. Sie befürchten, dass deshalb in Zukunft weniger ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland kommen werden (siehe Kurz-Statements unten).
In der Baubranche geht nichts mehr ohne EU-Arbeitskräfte
Wie wichtig die Neuregelung ist, zeigt das Beispiel der Baubranche. Mehr als 200.000 Entsendete aus der EU arbeiten jedes Jahr auf deutschen Baustellen. Viele Bauunternehmen finden laut Branchenverband kaum noch neue Mitarbeiter in Deutschland und suchen deshalb verstärkt im Ausland.Quellen
Statements von Expertinnen und Experten
Ivan Ivanov, Beratungsstelle für Wanderarbeitskräfte, Faire Mobilität Hessen: "Unternehmen werden weiter die Regelungen unterlaufen."
"Das Ziel 'Gleicher Lohn für gleiche Arbeit' wird man nicht erreichen. Einige Unternehmen im Baugewerbe werden weiterhin selbst die Mindestlöhne unterlaufen, zum Beispiel indem sie Arbeitszeiten manipulieren. Sie zahlen dann für 40 Stunden, obwohl die Arbeitnehmer eigentlich bis zu 60 Stunden pro Woche arbeiten. Eigentlich müsste der deutsche Zoll genauer hinschauen. Auch dafür schafft der Entwurf keine Grundlage. Bei Lohnbetrug können Arbeitnehmer nur vor Gericht dagegen klagen. Das ist schwierig und passiert deshalb kaum. Am Alltag von ausländischen Arbeitnehmern wird sich durch die Reform wenig ändern."
Anke Hassel, Professorin für Public Policy an der Hertie School of
Governance: "Es müsste effektiver kontrolliert werden."
"Vieles von dem, was jetzt beschlossen werden soll, gilt in der Baubranche schon, was Löhne angeht oder das Verbot von dauerhaften Entsendungen. Die Erfahrung zeigt jedoch: Viele Unternehmen umgehen das. Sie gründen Briefkastenfirmen und entsenden dann die selben Arbeitnehmer mehrmals. Sie verschleiern so langfristige Entsendungen. Auf Baustellen gibt es zwar Kontrollen. Aber die deutschen Behörden arbeiten kaum mit ihren ausländischen Kollegen zusammen, um Betrug aufzudecken. Daran wird sich durch die Reform wenig ändern. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden weiterhin zu wenig vor Ausbeutung geschützt."
Karen Rudolph, wissenschaftliche Referentin am Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg: "In Zukunft könnten weniger Entsendungen stattfinden."
"Die Reformen der EU sind zu kompliziert und bürokratisch. Wenigstens für Kurzzeit-Entsendungen hätte es Ausnahmen geben sollen. Wenn die Länder keine Ausnahmen festlegen, gelten die allgemeinverbindlichen Tarifverträge in Zukunft für alle Arbeitnehmer. Das macht es unnötig kompliziert für Unternehmen im Grenzgebiet, die zum Beispiel für einen Tag jemanden ins Nachbarland schicken wollen. Für Unternehmen aus Osteuropa werden Entsendungen teurer und bleiben kompliziert. Das kann dazu führen, dass in Zukunft weniger Entsendungen stattfinden."
Der Thinktank CEP wird nach eigenen Angaben vor allem von mittelständischen Unternehmen aus Deutschland gefördert.
Von Carsten Janke. Hinweis: Dieser Artikel wurde am 12.2.20 aktualisiert.
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