Was erhoffen sich Flüchtlinge von ihrem Leben in Deutschland? Wie unterscheiden sich ihre Erwartungen und Ambitionen, und warum? Was steht ihrer Integration im Wege? Und welche Faktoren helfen ihnen dabei, in Deutschland schnell Fuß zu fassen?
Um diese Fragen zu beantworten, haben der Forschungsbereich des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und die Robert Bosch Stiftung 62 Interviews mit Asylbewerbern aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan, Albanien, dem Kosovo und Mazedonien geführt. Dabei haben die Forscher die Geflüchteten über ihre Erfahrungen und Erwartungen im Bezug auf Integration befragt. Die Ergebnisse wurden in einer Studie mit dem Titel "Wie gelingt Integration? Asylsuchende über ihre Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland" zusammengefasst.
Aus der Studie geht hervor: Alle teilen den Wunsch, in Deutschland anzukommen und hier ein sicheres, erfülltes Leben zu führen. Ihre Erfahrungen während der Flucht und seit ihrer Ankunft in Deutschland haben ihre Einstellungen und Erwartungshaltungen aber unterschiedlich geprägt.
Wohnraum, Familie, Arbeit
Vor allem am Anfang dokumentieren die Studienautoren Erleichterung und Dankbarkeit: Geflüchtete sind nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst einfach nur froh, dass die Flucht zu Ende ist. Doch bereits in der Ankunftsphase zeichnen sich erste Probleme ab.
Viele Geflüchtete fanden die Lebensbedingungen in großen, überfüllten Gemeinschaftsunterkünften unerträglich: Lärm, mangelnde Privatsphäre, schlechte Ernährung, Krankheiten und sogar Gewalt prägen das Leben vieler Geflüchteten in den Aufnahmeeinrichtungen. Asylbewerber aus "sicheren Herkunftsstaaten" dürfen diese Einrichtungen bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens nicht verlassen. Sie zeigten sich in der Befragung besonders stark davon betroffen.
Die Lebensbedingungen verbessern sich in der Regel deutlich, nachdem die Asylsuchende in Anschlussunterbringungen in den Kommunen unterkommen. Wie wohl sich Geflüchtete in ihrem neuen Zuhause fühlen, hängt jedoch stark von Rahmenbedingungen wie etwa Arbeitsmöglichkeiten, der örtlichen Anbindung und der Infrastruktur sowie vom Kontakt zur lokalen Bevölkerung ab.
Die Frage des Aufenthaltsstatus ist für die meisten Asylsuchenden entscheidend. Abgelehnte Asylbewerber sowie Geflüchtete mit „schlechter Bleibeperspektive“ blicken mit Sorge in die Zukunft. Für die meisten Befragten scheint es unvorstellbar, in die Heimat zurückzukehren. Viele Asylsuchende beklagen sich auch darüber, dass zwischen Antragstellern mit „guter“ beziehungsweise „schlechter“ Bleibeperspektive stark unterschieden wird. Afghanische Befragte bemängeln etwa, dass sie im Unterschied zu Syrern nur wenig Hilfe von den Behörden bekommen.
Die Studie zeigt, dass viele Geflüchtete nicht wissen, wo sie sich für einen Integrationskurs anmelden, wo sie Hilfe bei der Wohnungssuche beantragen oder eine Arbeit suchen können. Es scheint, dass bestehende Angebote in den Kommunen nur unzureichend bekannt gemacht werden. Eine bessere Kommunikation zwischen Behörden und Geflüchteten würde den Integrationsprozess fördern, heißt es in der Studie.
Häufig müssen freiwillige Helfer einspringen, um bei Behördengängen zu helfen. Flüchtlingshelfer sind für viele Asylbewerber die ersten Menschen, mit denen sie in Deutschland Kontakt haben. Mehrere Befragte äußerten dabei große Bewunderung für die Arbeit der Ehrenamtlichen. Vergleichsweise wenige Befragte sprachen von negativen Erfahrungen mit der lokalen Bevölkerung.
Für diejenigen, die in Deutschland bleiben dürfen, haben zwei Themen oberste Priorität: Familie und Arbeit. Fast alle Befragten wünschen sich, bald mit ihren Angehörigen vereint zu sein, die sich noch im Herkunfts- oder einem Transitland aufhalten. Die Trennung von der Familie stellt für viele ein großes Hindernis auf dem Weg zur Integration dar, konstatieren die Studienautoren. Die Ungewissheit und die Sorge um die Zukunft der engsten Familienangehörigen würde den Alltag belasten und es den Menschen schwer machen, sich auf ihre Integration zu fokussieren.
Auch die Frage, wie und wann sie arbeiten können, beschäftigt die meisten Befragten. Fast alle zeigen sich stark motiviert, in Deutschland zu arbeiten und sich weiterzubilden. Doch der Weg in die Berufswelt ist für viele noch lang und verworren. Einerseits wissen die meisten Geflüchteten, dass sie zunächst ihre Sprachkenntnisse ausbauen müssen, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Andererseits stehen viele von ihnen unter extremen Zeitdruck, weil sie hoffen, bald Geld verdienen zu können, um ihre Familie in Deutschland oder im Herkunftsland zu versorgen. Deshalb kommt auch eine Aus- oder Weiterbildung in Deutschland nur für wenige in Frage.
Integration mithilfe der Flüchtlinge gestalten
Aus den Ergebnissen der Umfrage haben die Studienautoren einige konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet:
- Aufenthaltsstatus möglichst schnell klären: Um Geflüchtete möglichst schnell integrieren zu können, muss zunächst geklärt werden, ob sie in Deutschland bleiben dürfen. Deshalb sollen Asylanträge innerhalb von maximal drei Monaten entschieden werden.
- Familien zusammenhalten: Die Familieneinheit fördert die Integration. Deshalb sollen auch subsidiär Schutzberechtigte die Möglichkeit haben, ihre Angehörige nach Deutschland nachziehen zu lassen.
- Lebenszeit in Gemeinschaftsunterkünften reduzieren: Mit Blick auf die schwierigen Lebensbedingungen in Gemeinschaftsunterkünften sollte die maximale Aufenthaltsdauer in Aufnahmeeinrichtungen für alle Flüchtlinge auf sechs Monate reduziert werden.
- Verteilung von Geflüchteten nach Integrationspotential gestalten: Geflüchtete sollten die Möglichkeit haben, in Kommunen zu leben, zu denen sie familiäre Bezüge haben. Außerdem sollten sie nach Kriterien wie Aufnahmekapazität, Unterstützungsstruktur und vorhandenen Arbeitsplätzen auf die Kommunen verteilt werden.
- Zugang zum Arbeitsmarkt gestalten: Flüchtlinge sollten einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten und gleichzeitig die Möglichkeit haben sich weiterzubilden. Zu diesem Zweck könnte eine Ausbildung mit Teilzeit-Arbeit kombiniert werden.
Von Fabio Ghelli
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