Der Bund wird die "Sprach-Kitas" bis Mitte 2023 weiter fördern. Urspünglich sollte das Bundesprogramm Ende des Jahres auslaufen. Die Verlängerung sei "eine Übergangslösung", sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Für die Fortsetzung der Sprachförderung sollen die Länder in den nächsten Monaten gut 100 Millionen Euro vom Bund erhalten. Auf Dauer sollen sie diese dann selbst ausbauen.
In den letzten Monaten hatte das geplante Aus des Bundesprogramms für Proteste gesorgt: Insbesondere Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte würden ab 2023 "essenziell schlechter gestellt werden", hieß es in einem offenen Brief, den mehrere Kita-Verbände, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und die Gewerkschaft GEW unterzeichnet hatten. Gute Sprachkenntnisse entschieden über Erfolge in der Schule und auf dem gesamten Lebensweg. Das Programm, mit dem zuletzt etwa jede achte Kita in Deutschland gefördert wurde, müsse deshalb verstetigt werden.
Seit 2016 unterstützt der Bund die Länder mit dem Bundesprogramm "Sprach-Kitas", das sich vor allem an Kitas mit einem hohen Anteil von Kindern richtet, bei denen ein Sprachförderbedarf festgestellt wurde. Einen solchen Bedarf gibt es nicht nur bei Kindern mit nichtdeutscher Familiensprache, in manchen Bundesländern werden Lernstandserhebungen aber nur in dieser Personengruppe durchgeführt. Im Jahr 2021 hatten laut Mikrozensus rund 1,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund. Das entspricht etwa 40 Prozent aller unter Fünfjährigen in Deutschland. Jedes fünfte Kita-Kind im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt verständigt sich laut Bildungsbericht 2022 zu Hause in einer nichtdeutschen Familiensprache.Quelle:
Kitas konnten Sprach-Fachkräfte einstellen
Die am Bundesprogramm teilnehmenden Kitas konnten Sprach-Fachkräfte anstellen, die den Erzieher*innen helfen sollten, bessere sprachliche Bildung im Kita-Alltag zu verankern. Pro Einrichtung wurde eine halbe Stelle finanziert. Außerdem wurden die Teams durch Fachberatungen begleitet. In diesem Jahr standen dafür 248 Millionen Euro im Bundeshaushalt zur Verfügung. Insgesamt förderte der Bund elf Jahre lang in diesem Bereich – vor den Sprach-Kitas gab es bereits ein ähnliches Programm, das 2011 startete.Quelle:
Aus Sicht von Bildungsforscher*innen war das gut investiertes Geld. Katharina Kluczniok, Erziehungswissenschaftlerin an der FU Berlin, hat die Sprach-Kitas in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Kolleg*innen wissenschaftlich evaluiert. Die Einstellung von Fachkräften und die Begleitung durch die Fachberatungen habe die pädagogische Qualität der Einrichtungen weiterentwickelt, sagte sie dem MEDIENDIENST.Quelle:
Zeitpunkt für Programmende "nicht besonders günstig"
Auch wenn Bundesprogramme immer auf eine bestimmte Zeit begrenzt sind, findet Kluczniok den Zeitpunkt für das Auslaufen "nicht besonders günstig gewählt". Durch die Lernrückstände während der Corona-Pandemie sei die Schere zwischen bildungsprivilegierten und benachteiligten Kindern größer geworden. Hinzu komme, dass durch den Ukraine-Krieg nun viele Kinder mit Fluchterfahrungen in die Kitas kämen. "Da wäre ein solches Programm sicher hilfreich."
Wenn sprachliche Grundlagen fehlten, könne das zu Benachteiligungen führen, sagt Galina Putjata, die an der Goethe-Universität Frankfurt am Main zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit forscht. "Wenn eine Erzieherin der Meinung ist, dass ein Kind noch nicht genügend Deutsch spricht, wird es womöglich als nicht schulreif eingestuft oder zur Logopädie geschickt – unabhängig von der sonstigen Entwicklung. In manchen Bundesländern kann das schließlich zu einer Überführung in Sonder- oder Förderschulen führen." Sprachförderung könne deshalb dazu beitragen, dass Kinder nicht auf dem Abstellgleis landen.
Was war aus Sicht der Forscherinnen die besondere Stärke des Programms? Zum einen ging es nicht um ein spezielles Förderangebot an einem bestimmten Nachmittag, sondern um "alltagsintegrierte Förderung". Das bedeutet: Die eingestellten Fachkräfte sollten die Erzieher*innen unterstützen, sprachliche Bildung in den Kita-Alltag einzubauen - also in Situationen wie das gemeinsame Mittagessen oder das Anziehen für den Ausflug. "So kann der Wortschatz der Kinder ständig wachsen", sagte Putjata dem MEDIENDIENST.
In der Kita auch in der Muttersprache reden
Zum anderen sollte das Bundesprogramm dazu beitragen, dass verschiedene Sprachen und Kulturen in den Kitas nicht als Belastung empfunden werden, sondern als Bereicherung. "Wir haben feststellen können, dass Fachkräfte mit ausgeprägten multikulturellen Überzeugungen eine bessere pädagogische Qualität realisieren", sagt Wissenschaftlerin Kluczniok.Quelle:
Auch für die Entwicklung der Kinder findet sie einen positiven Umgang mit Vielfalt wichtig: Wenn Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund in der Kita auch in ihrer Muttersprache reden könnten, fühlten sie sich angenommen und könnten sich weiterentwickeln. Bei einem Punkt sieht Kluczniok allerdings noch "Luft nach oben" - nämlich bei der kultursensiblen Ausstattung der Kitas mit Materialien. Das umfasst etwa Bücher in anderen Sprachen oder die Sichtbarkeit von anderen Schriftzeichen.
Es sei von Anfang an klar gewesen, dass das Programm nach einer befristeten Förderperiode in die Verantwortung der Länder übergeben werde, hatte das Bundesfamilienministerium im Sommer argumentiert. Schon jetzt hätten die Länder die Möglichkeit, Mittel aus dem "Gute-Kita-Gesetz" für die Fortführung des Sprach-Kita-Programms zu nutzen, sagte eine Sprecherin damals. Insgesamt sollen in den nächsten beiden Jahren zwei Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stehen.
Bund will Sprachförderung gesetzlich verankern
Die Sprecherin kündigte außerdem an, mit der geplanten Weiterentwicklung des "Gute-Kita-Gesetzes" zu einem "Kita-Qualitätsgesetz" solle die Sprachförderung gesetzlich verankert und zum "prioritären Handlungsfeld" gemacht werden. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Streit gegeben, weil einzelne Länder die finanzielle Unterstützung aus dem Bund dafür nutzten, um die Elternbeiträge für den Kitabesuch zu deckeln. Mecklenburg-Vorpommern hatte sich beispielsweise dafür entschieden, Kitas ab 2020 beitragsfrei zu machen.
Die Wissenschaftlerin Kluczniok äußerte gegenüber dem MEDIENDIENST die Hoffnung, dass die Länder künftig mehr eigene Ressourcen in die sprachliche Bildung stecken werden. In den letzten Jahren habe es ein Umdenken gegeben.
Von Cordula Eubel
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.