Vor einem Jahr wurde das Landesantidiskriminierungsgesetz in Berlin verabschiedet. Das LADG soll Menschen vor Diskriminierung durch die Behörden schützen und etwa Ansprüche auf Schadensersatz ermöglichen. Im Vorfeld wurde heftig darüber diskutiert. Kritiker*innen befürchteten, dass Beamt*innen zu Unrecht Diskriminierung vorgeworfen wird und das Gesetz die Polizeiarbeit erschwere.
Ein Jahr nach Verabschiedung des Gesetzes sagen Fachleute auf einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES: Die Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Das Gesetz hindere die Polizei nicht an ihrer Arbeit und es habe auch keine Klageflut gegen Polizist*innen und andere Beamt*innen gegeben. Hingegen helfe das LADG Betroffenen von Diskriminierung, ihre Perspektive geltend zu machen.
Berliner Polizei befürwortet das Gesetz
Der Pressesprecher der Berliner Polizei, Thilo Cablitz betont: „Grundsätzlich hat das LADG unsere Polizeiarbeit in keiner Weise behindert“. Er kritisiert, dass Medien hauptsächlich die Kritik der Polizeigewerkschaften aufgriffen. Die Berliner Polizei hätte dem LADG von Anfang an offen gegenübergestanden: "Es geht um die Stärkung der Menschenwürde und den Gleichbehandlungsgrundsatz. Was könnte man dagegen haben?".
Dennoch seien auch Beamt*innen verunsichert. Einige befürchteten, zu Unrecht der Diskriminierung beschuldigt zu werden. Es ist Cablitz zufolge wichtig, die Ängste und Sorgen der Beamt*innen ernst zu nehmen und sie auszuräumen. Die Polizei Berlin hat Mitarbeiter*innen über das LADG informiert und klargestellt, dass die Behörde im Falle einer falschen Anschuldigung hinter den Mitarbeitenden stehe.
Die Polizei kann stark in die Grundrechte der Bevölkerung eingreifen. Es ist Cablitz zufolge nur konsequent, Polizeihandeln sorgfältig zu überprüfen und Diskriminierungsvorwürfe ernst zu nehmen. Er sieht im LADG viel Potential: Polizist*innen müssten sich mit der Perspektive der Betroffenen auseinandersetzen. Und damit, wie sich rassistische Vorurteile auf polizeiliches Handeln auswirken.
Für Polizeiforscher Hartmut Aden geht es bei dem Antidiskriminierungsgesetz auch darum, Vertrauen zu den Behörden herzustellen und mehr Transparenz zu schaffen. Das Handeln der Polizei sollte für Bürger*innen stets nachvollziehbar sein. „Die Akzeptanz für Polizeihandeln wird dann größer, wenn Menschen das was die Polizei macht als fair empfinden“, so Aden. Kontrollmechanismen – wie eine unabhängige Beschwerdestelle – könnten das Vertrauen in die Polizei stärken.
Dafür müsse sich auch eine Fehlerkultur bei der Polizei entwickeln. „Das, was im konkreten Einzelfall nicht funktioniert hat, sollte Anlass für eine kritische Selbstreflexion sein.“ Dies führe dann bestenfalls zu verbesserten Praktiken bei der Polizei.
Wie umgehen mit Diskriminierungsvorwürfen?
Mit dem LADG hat eine neue Ombudsstelle in Berlin den Betrieb aufgenommen. Im ersten Jahr erreichten die Stelle 315 Beschwerden, 50 richteten sich gegen die Polizei, davon fielen 38 in den Anwendungsbereich des LADG. Klagen gab es bisher keine – laut der Leiterin Doris Liebscher völlig normal: „Die Leute wollen nicht klagen. Sie wollen eine Entschuldigung“. Dass sich viele Menschen bei der Stelle melden, liegt der Juristin zufolge auch an Black Lives Matter Protesten: Menschen fühlten sich ermächtigt, sich zu beschweren.
Bei den Beschwerden gegen die Polizei zeichne sich ein problematisches Muster ab, berichtet Liebscher: Oft reagieren die Polizist*innen abwehrend auf Diskriminierungsvorwürfe, streiten diese ab und decken sich gegenseitig. Diese Fälle – häufig bei Personenkontrollen – laufen ähnlich ab: Ein*e Polizist*in wird aggressiv oder äfft die kontrollierte Person nach. Der oder die andere Kolleg*in greift ein und versucht zu vermitteln. Wird diese Beschwerde von der Ombudsstelle an die Polizei zurückgegeben sieht die Stellungnahme jedoch anders aus: Beide Polizist*innen hätten sich korrekt verhalten, die kontrollierte Person sei dagegen aggressiv gewesen.
Für Liebscher zeigt sich, wie schwer es der Polizei, aber auch anderen Behörden fällt, mit entsprechenden Vorwürfen umzugehen. „Ein Diskriminierungsvorwurf wird als sehr große Anmaßung empfunden. Es ist eine Aufgabe für uns alle, uns stärker selbst zu reflektieren und ruhiger und professioneller in diese Auseinandersetzung zu gehen“.
Es geht um Zugehörigkeit
Mit der Ombudsstelle wurde eine Anlaufstelle geschaffen, die Betroffene ernstnimmt und diese berät – unabhängig davon, ob die empfundene Diskriminierung später bestätigt wird oder nicht. Für Liebscher geht es beim LADG um mehr als ein konkretes Gesetz: „Es geht einerseits um Respekt vor den Grundrechten. Andererseits geht es aber darum, den Menschen Zugehörigkeit zu vermitteln“. Gerade in diversen Städten wie Berlin. Deshalb sei das LADG so wichtig. Sie wünscht sich daher, dass auch andere Länder nachziehen.
Aktuell planen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein LADG. Brandenburg, Hamburg, Hessen und Sachsen wollen überprüfen, ob es gesetzliche Lücken beim Diskriminierungsschutz gibt und ob es dafür ein Gesetz braucht.
Wie steht es um ein LADG in anderen Bundesländern? Die Antworten finden Sie HIER.
Von Caroline Schäfer
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