Die Integration von Geflüchteten kommt in Dax-Unternehmen kaum voran, wie eine aktuelle Umfrage des MEDIENDIENSTES zeigt. Demnach arbeiten rund 6.000 Menschen aus Asylländern in den Dax-Unternehmen – allerdings fast ausschließlich bei der Deutschen Post / DHL (5.700 Geflüchtete). In den übrigen Unternehmen waren es nur wenige Hundert.
Von den 40 Unternehmen im Deutschen Aktienindex (DAX) haben 32 auf die Anfrage des MEDIENDIENSTES geantwortet. 22 gaben an, keine Zahlen bieten zu können. Zehn Unternehmen konnten konkrete Zahlen nennen. Die anderen Unternehmen, die Zahlen zu Beschäftigten liefern konnten, sind Bayer (81), Henkel (50), Sartorius (28), RWE (26), Adidas (25), Puma (21), Allianz (20) und Brenntag (5), das sind zusammengerechnet gerade einmal 256 Beschäftigte.
Zudem lernen rund 380 Auszubildende aus Asylländern in den großen DAX-Unternehmen – davon wiederum 290 bei der Post, bei BMW (38), Deutsche Börse (30), RWE (7), Henkel (5) und Sartorius (4). Zum Vergleich: Insgesamt arbeiten hierzulande in den Top-Börsen-Unternehmen etwa 1,5 Millionen Menschen.Quelle
Viele Dax-Unternehmen hatten 2015 angekündigt, mehr Geflüchtete ausbilden und einstellen zu wollen. Diesen Ankündigungen sind nicht überall Taten gefolgt.
Ein Unternehmen sticht bei der Integration von Geflüchteten hervor – die Deutsche Post. Sie beschäftigt inzwischen 5.700 Geflüchtete, und damit 96 Prozent der Geflüchteten in Dax-Unternehmen. Die Post bietet extra Sprachkurse, Bewerbungstrainings und Mentor*innen-Programme an. Das scheint sich auszuzahlen: Bei der Post haben seit 2015 nach eigenen Angaben bereits 17.000 Geflüchtete gearbeitet, sei es in einem Praktikum, auf einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.
Viel Engagement beim Thema Ukraine - aber noch kaum konkrete Zahlen
Gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine zeigen sich viele Unternehmen offen: Die Allianz bietet ein verkürztes Bewerbungsverfahren für Ukrainer*innen. SAP hat online ein eigenes Programm zur Einstellung von ukrainischen Geflüchteten. Infineon beschäftigt ukrainische Mitarbeitende weiter, die hierher geflohen sind. Mehrere andere Konzerne kündigten Integrationsbemühungen an. Konkrete Zahlen konnten aber bislang nur zwei Unternehmen nennen: Der Sportartikel-Hersteller Puma hat seit Februar 20 Ukrainer*innen beschäftigt, die nach Deutschland geflohen sind, das Pharma-Unternehmen Sartorius eine*n.
Zur Methode:
Für diese Recherchen wurden die 40 Unternehmen im im Deutschen Aktienindex (DAX) befragt. 32 Unternehmen haben geantwortet. 22 gaben an, keine Zahlen bieten zu können. Zehn Unternehmen konnten konkrete Zahlen nennen, davon gab ein Unternehmen gab an, keine Geflüchtete zu beschäftigen. Von den anderen kam keine Antwort.
Weil der Aufenthaltsstatus der Mitarbeitenden von den Unternehmen häufig nicht erfasst wird, haben wir zusätzlich nach Beschäftigten mit einer Staatsbürgerschaft aus den acht häufigsten außereuropäischen Asylherkunftsstaaten gefragt (Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea, Somalia, Nigeria und Pakistan) - unabhängig davon, ob sie einen Status als Geflüchtete haben.
Bei vorherigen Befragungen waren es 30 Unternehmen. Unter den ersten 30 gab es in den letzten Jahren Veränderungen: Wirecard und Lufthansa sind nicht mehr dabei. Neu hinzugekommen sind MTU Aero und Delivery Hero.
Kleinere Unternehmen beschäftigen mehr Geflüchtete
Warum beschäftigen die großen Unternehmen so wenig Geflüchtete? Sekou Keita, Arbeitsmarktforscher vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), hat das Phänomen mit einem Kollegen in einem aktuellen Bericht untersucht. Fest steht, "große Unternehmen beschäftigen vergleichsweise weniger Geflüchtete", so Keita. Kleinere und mittlere Unternehmen hingegen mehr. Es brauche mehr Studien zum Thema, so Keita.
Ein Grund könnte die Personalrekrutierung sein. Große Unternehmen können sich ihr Personal gewissermaßen "aussuchen". Sie setzen sich im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte meistens gegen kleinere und mittlere Unternehmen durch – vor allem weil sie mit einem höheren Gehalt locken. "Und für diese Großen ist es dann halt bequemer, wenn sie jemand einstellen, der schon perfekt Deutsch kann und einen deutschen Abschluss hat", so Keita. Geflüchtete seien da möglicherweise nicht die erste Wahl.
Kleinere Unternehmen haben in der IAB-Studie häufiger angegeben, Abstriche bei den Erwartungen an potentielle Arbeitskräfte zu machen. Sie können es sich wegen des Personalmangels oft nicht aussuchen und sind eher bereit, Weiterbildungen zu übernehmen oder langwierige Anerkennungsverfahren von Abschlüssen, die bei Geflüchteten oft nötig sind. Auch die Berufswahl der Geflüchteten selbst dürfte eine Rolle spielen. Diese arbeiten häufig in den Bereichen Gastronomie, Transport, Logistik oder Zeitarbeit – alles Bereiche, die eher kleinbetrieblich organisiert sind.
Außerdem ist die Personalstruktur von DAX-Unternehmen eine besondere. Dort arbeiten überdurchschnittlich viele Hochqualifizierte. Bereiche, in denen nur geringe Qualifikationen gebraucht werden, werden von den Unternehmen oft ausgegliedert und an Subunternehmer vergeben - zum Beispiel Jobs in der Reinigung, der Sicherheit oder im Service. Alles Bereiche, in denen viele Geflüchtete arbeiten. Die Dax-Unternehmen können so ihre Personal "verschlanken" und flexibler agieren. Geflüchtete tauchen dann in den Personalbilanzen kaum noch auf.
Von Carsten Wolf
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