MEDIENDIENST: Es gibt eine kontroverse Debatte darüber, ob die Kölner Polizei in der Silvesternacht richtig gehandelt hat. Wie beurteilen Sie den Einsatz?
Daniela Hunold: Das lässt sich nach bisherigem Kenntnisstand nicht abschließend einschätzen. Die Informationslage spricht dafür, dass es am Kölner Hauptbahnhof eine Selektion von Personen nach äußerer Erscheinung gab, also "Racial Profiling". Ich gehe davon aus, dass mehrere Hundert Personen, die festgesetzt wurden, nicht alle hochaggressiv und alkoholisiert waren. Hier muss auch die äußere Erscheinung eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Polizei gewesen sein. Um das genauer beurteilen zu können, müsste man jedoch wissen, welche weiteren Informationen den Beamten tatsächlich vorlagen.
Ging es in Köln darum, Tatverdächtige zu fassen oder wollte die Polizei signalisieren, dass sie präsent ist?
Man kann die besondere Situation nicht außer Acht lassen nach den Übergriffen vom Jahr zuvor. Wenn Fehler wie 2015 passiert wären, hätte das dem Vertrauen in die Polizei geschadet. Es war für die Polizei wichtig zu zeigen, dass die Sicherheitslage aufrecht gehalten werden kann. Meine Frage an der Stelle ist, wie es zur Festsetzung einer so großen Menschengruppe kam.
Welche Möglichkeiten gibt es, mit schwierigen Situationen wie in der Silvesternacht umzugehen?
Es gibt eine sehr interessante Studie des Open Society Institutes von 2009. Man ist in verschiedenen europäischen Ländern der Frage nachgegangen, ob es "Racial Profiling" gibt. Das wurde vielfach bejaht. Eine weitere Erkenntnis war: Die Auswahl nach äußeren Kriterien ist nicht effektiv. Ich finde nicht die Person, die ich finden will. Es gab dann Überlegungen, wie man das ändern kann. Ein Training wurde ins Leben gerufen, das Polizeibeamte befähigt hat, nach anderen Kriterien zu schauen: Wie verhält sich eine Person, die unter anderem gefährlich sein könnte? Die trainierten Polizeibeamten haben dann Kontrollen durchgeführt. Sie hatten eine deutlich höhere Trefferquoten als diejenigen, die nach dem Aussehen selektiert haben.
Kann man diesen Ansatz auch bei Menschengruppen anwenden?
Dr. DANIELA HUNOLD studierte Wirtschafts- und Sozialgeographie sowie Krimino-logie. Sie hat am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht promoviert. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Kriminologie an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. 2015 veröffentlichte sie das Buch "Polizei im Revier – Polizeiliche Handlungspraxis gegenüber Jugendlichen in der multiethnischen Stadt". Foto © Manuel Geiger
Ich denke ja. Aber die Situation in Gruppen ist komplexer. Man muss verschiedene Kriterien zugrunde legen, egal ob bei Einzelpersonen oder bei Gruppen: Verhalten, Altersstruktur, Alkoholisierungsgrad, Umgang mit der Polizei. Die Frage ist: Sind das Kriterien, die jetzt in Köln zum Tragen kamen? Und wenn ja, nur bei vermeintlich nordafrikanisch aussehenden Menschen oder auch bei anderen?
Welche Strategien hat die Polizei in anderen Situationen, etwa bei Fußballspielen?
Bei Fußballspielen ist es relativ klar. Die Beamten haben Erkenntnisse über bestimmte Gruppen, zum Beispiel Hooligans. Sie sind einfach zu erkennen, an Fanschals oder anderen Symbolen. Ein großer Unterschied zu Köln ist: Fußballfans können ihre Schals und Trikots ablegen oder aus der Gruppe austreten, wenn sie nicht mehr von polizeilicher Kontrolle betroffen sein wollen. Wenn ich aber eine bestimmte Haut- oder Haarfarbe habe, die als verdächtig gilt, geht das nicht.
Wie kann die Polizei aus der Silvesternacht lernen?
Wir brauchen eine Fehlerkultur in der Polizei, eine Kultur, die eigenes Handeln kritisch reflektiert. Intern gibt es das teilweise, viele Beamte sind entsprechend ausgebildet. Ich glaube aber, dass das strukturell viel zu wenig verankert ist. Die Aufarbeitung von Fehlern wird nicht flächendeckend umgesetzt.
Wie gehen andere Länder mit dem Thema "Racial Profiling" um?
In angloamerikanischen Ländern beschäftigt man sich schon länger damit. Ein großer Unterschied zu Deutschland ist: In England und den USA werden viel mehr Mittel zur Verfügung gestellt, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. In Deutschland wissen wir empirisch fast nichts über "Racial Profiling".
Interview: Mehmet Ata und Jenny Lindner
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