Dieser Artikel ist ursprünglich am 23.10.2023 erschienen und wurde am 16.1.2024 aktualisiert.
Die Bundesregierung strebt mit einem neuen Gesetzespaket schnellere Rückführungen an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in einem Interview: Es müsse "endlich im großen Stil" abgeschoben werden. Er schlägt unter anderem vor, dass die Ausländerbehörden für Abschiebungen rund um die Uhr erreichbar sein sollen und schnellere Asylverfahren in Erstaufnahmeeinrichtungen stattfinden sollen.
Das geplante Gesetzespaket sieht vor:
- Der "Ausreisegewahrsam" soll auf 28 Tage verlängert werden.
- Polizeibeamt*innen sollen Wohnungen und Unterkünfte von Geflüchteten ohne richterliche Genehmigungen betreten dürfen.
- Abschiebungen sollen künftig nicht mehr angekündigt werden.
- "Schleuser", die von der Polizei fliehen oder unbegleitete Minderjährige transportieren, sollen mit schweren Haftstrafen bestraft werden.
- "Schleuser" und Mitglieder von kriminellen Vereinigungen sollen schneller ausgewiesen werden.
- Schneller ausgewiesen werden auch Personen, die wiederholt straffällig wurden sowie solche, die Straftaten mit "menschenverachtenden Beweggrund" verüben (u.a. Antisemitismus, Rassismus oder Straftaten gegen die sexuelle Orientierung).
Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich um das fünfte Reformpaket zum Thema Abschiebung seit 2015.
Die geltenden Gesetze ermöglichen bereits ein hartes Durchgreifen bei Abschiebungen: Unangekündigte Abschiebungen in der Nacht, Durchsuchungen der Wohnräume, Konfiszierung von Handys, Trennung von Familienangehörigen kommen schon jetzt oftmals vor – wie die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl betont. Selbstverletzungs- und Suizidversuche kommen bei Abschiebungen vor: Zwischen 1993 und 2022 hat die "Antirassistische Initiative Berlin" 443 Todesfälle bei Abschiebungen gezählt. Zuletzt hat sich Mitte Oktober 2023 ein Mann aus Nigeria während seiner Abschiebung in den Tod gestürzt.
Trotz wiederholter Verschärfungen des Rückführungs- und Ausweisungsrechts ist die Zahl der Abschiebungen nicht gestiegen. Während der Covid-19-Pandemie ist sie stark zurückgegangen und steigt seit 2022 wieder an.
Es gibt mehrere Gründe, weshalb ausreisepflichtige Personen wie etwa abgelehnte Asylbewerber*innen oder Ausländer*innen, die kein gültiges Visum haben, nicht abgeschoben werden: Viele von ihnen haben keine Reisedokumente. Ebenfalls kann eine Person nicht abgeschoben werden, wenn ihr im Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben droht.
2023 ist die Zahl der in Deutschland lebenden ausreisepflichtigen Personen zum ersten Mal seit 2015 um mehr als 20 Prozent zurückgegangen: Von rund 304.300 auf etwa 242.600 Personen. Grund dafür waren allerdings nicht Abschiebungen, sondern die Vergabe des sogenannten Chancenaufenthalts an Geduldete.
Mehr Inhaftierungen gleich mehr Abschiebungen?
Ein Bereich, auf den sich mehrere Reformen der Vergangenheit konzentriert haben, ist die Abschiebehaft. Auch das aktuelle Gesetzespaket sieht vor, dass der "Ausreisegewahrsam" verlängert werden kann.
Abschiebehaft ist laut Expert*innen inhuman: Sie kann schwerwiegende Auswirkungen auf das physische und psychische Wohlbefinden der ausreisepflichtigen Personen haben, wie zahlreiche Studienbelegt haben. Sie gilt außerdem als teuer und inneffektiv: Schon vor zehn Jahren hat eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgestellt, dass die Inhaftierung ausreisepflichtiger Personen teuer und nicht besonders wirksam ist, um Rückführungen zu bewirken.
Das bestätigt eine Befragung des MEDIENDIENSTES unter den zuständigen Ministerien der Länder. Mehr Inhaftierungen führen nicht unbedingt dazu, dass mehr Menschen abgeschoben werden: 2019 ist zum Beispiel die Zahl der Inhaftierungen gestiegen, während die Zahl der Abschiebungen zurückgegangen ist. Nach der Pandemie ist die Zahl der Inhaftierungen wieder deutlich gestiegen, ohne dass es zu signifikant mehr Abschiebungen kam.
Werden alle Personen in Abschiebehaft auch abgeschoben?
Nicht alle inhaftierten Personen werden abgeschoben. Da nicht alle Bundesländer über Abschiebehafteinrichtungen verfügen und Personen, die abgeschoben werden müssen, oftmals in andere Bundesländer überstellt werden, ist eine umfassende Statistik zu Inhaftierungen und Abschiebungen aus der Haft nicht möglich.
Ein Blick auf die Zahlen aus einigen Bundesländern, die über größere Hafteinrichtungen (40 Plätze oder mehr) verfügen, zeigt: Der Anteil der Personen, die aus der Abschiebungshaft abgeschoben werden, variiert sehr stark von Bundesland zu Bundesland. Während etwa in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im ersten Halbjahr 2023 vier von fünf inhaftierten Personen abgeschoben wurden, war es in Sachsen eine von zehn Personen.
Von Fabio Ghelli
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