REFERENT*INNEN:
- Dr. Tatiana Golova, Soziologin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, forscht zu politischen Mobilisierungen postsowjetischer Migrant*innen,
- Medina Schaubert, ehrenamtliche Geschäftsführerin des Vereins "Vision" in Berlin Marzahn-Hellersdorf, klärt Russischsprachige über russische Staatspropaganda auf,
- Sergej Prokopkin, Jurist und Antidiskriminierungstrainer, analysiert aktuell Social-Media-Meldungen über vermeintliche antirussische Übergriffe.
Zum Pressegespräch haben wir ein Factsheet veröffentlicht zur Frage, wie viele Straftaten im Kontext des Ukraine-Kriegs die Sicherheitsbehörden bislang erfasst haben.
STATEMENTS AUS DEM GESPRÄCH:
Sergej Prokopkin, analysiert Social-Media-Meldungen
"Bei Autokorsos gegen vermeintliche "Russophobie" werden teilweise erfundene Diskriminierungsfälle thematisiert. Auch die russische Botschaft verbreitet solche Meldungen über Vorfälle zum Beispiel an Schulen. Aber keiner macht sich die Mühe, zum Beispiel auf die Schulleitungen zuzugehen. Das legt nahe, dass es eher darum geht, Hass unter Social-Media-Nutzer*innen zu schüren.
Für den 8. Mai und 9. Mai sind allein in Berlin 30 Demonstrationen angemeldet. Eine sehr offensiv auftretende Putin-freundliche Minderheit wird dann durch Medienberichte vermutlich wieder größer erscheinen, als sie eigentlich ist.
Bei den Debatten in den Communities geht es häufig um Identitätsfragen, nicht um inhaltliche Argumente. Gerade Ältere hinterfragen nur selten ihre Haltung zu Russland. Jüngere Menschen aus den post-sowjetischen Communities hingegen sehr wohl. Sie sind bereit, sich von den Kreml-Narrativen zu lösen."
Dr. Tatiana Golova, Soziologin
"Es gab und gibt Fälle von Diskriminierung von russischsprachigen Menschen in Deutschland. Es gibt aber auch eine aggressive Kampagne des russischen Staates, wonach Russ*innen und Russischsprachige im Ausland bedroht seien. Diese Menschen müsse der russische Staat verteidigen – so die Ideologie des Kreml. Die massive Berichterstattung in russischen Medien führt dann dazu, dass Menschen, die schon lange in Deutschland leben, plötzlich besorgte Anrufe von ihren Verwandten aus Russland bekommen, weil die befürchten, sie seien hier bedroht."
Medina Schaubert, Verein Vision Marzahn-Hellersdorf
"Die pro-russischen Autokorsos in deutschen Städten werden vor allem über den Chatdienst Telegram organisiert. Dort gibt es ganz detaillierte Anleitungen, wie man sich eine deutsch-russische Fahne baut, was auf den Plakaten stehen sollte und sogar, was man am besten zu Journalist*innen sagt. Außerdem werden dort immer wieder Berichte über Angriffe auf Russischsprachige gepostet. Geteilt werden die Nachrichten von ganz verschiedenen Nutzer*innen aus der ganzen Bevölkerung. Aber von wem die Informationen ausgegangen ist, kann man oft nicht nachvollziehen.
In manchen russischsprachigen Communities gibt es ein Umdenken wegen des Kriegs gegen die Ukraine, zum Beispiel auf Telegram. Einige eher Putin-freundliche Gruppen sagen jetzt, sie haben sich in Putin geirrt. Inzwischen gibt es immer häufiger auch Russland-kritische Gegendemos aus den Communities. Über die wird allerdings nur selten berichtet."
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