Der Grundgedanke der deutschen Asylpolitik besteht darin, Menschen in großer Not aus humanitären Gründen zu helfen. Doch in den politischen Debatten stehen längst Fragen im Raum, die um den Nutzen der Flüchtlinge kreisen: Inwiefern sind Asylsuchende eine Chance für den deutschen Arbeitsmarkt und den künftigen Fachkräftebedarf?
In ihren Konjunkturprognosen haben mehrere Wirtschaftsinstitute Berechnungen dazu vorgelegt – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Schon bei der Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge gehen die Erwartungen weit auseinander. Auch langfristig sind sich die Ökonomen nicht einig: Sind Flüchtlinge eine "langfristig lohnende Investition" oder sind sie ein "Zuschussgeschäft"?
Was kostet die Asylpolitik die Staatskassen?
Bei den Berechnungen werden oft Kosten und Nutzen gegenübergestellt. Zunächst also die Frage: Wie hoch sind die aktuellen Ausgaben der öffentlichen Hand für die Flüchtlingsmigration?
Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen laut eigenen Angaben in diesem Jahr mit 2 Milliarden Euro für die Erstunterbringung und Versorgung der Flüchtlinge. Im Jahr 2016 will der Bund noch einmal 4,3 Milliarden Euro bereitstellen und rechnet laut einer Erklärung insgesamt mit zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 7,6 Milliarden Euro für das Jahr 2016. Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht darin eine pragmatische Prognose: In einer Rede vor dem deutschen Bundestag sagte er, man müsse angesichts der Ungewissheit bei den zu erwartenden Asylbewerber-Zahlen "auf Sicht fahren". Laut Angaben des Deutschen Städtetags könnten die Kosten für Länder und Kommunen deutlich höher liegen – bei etwa 3 Milliarden Euro im Jahr 2015 und bis zu 16 Milliarden Euro im Jahr 2016.
Die verschiedenen Wirtschaftsinstitute erwarten teilweise noch höhere Ausgaben. Hier die verschiedenen Schätzungen im Überblick:
- In ihrem gemeinsamen Herbstgutachten erwarteten mehrere Wirtschaftsinstitute Mehrausgaben von 4 Milliarden Euro für 2015 und 11 Milliarden Euro für 2016 für die Bereiche Unterbringung, Integration und Versorgung. Dabei gingen sie noch von 900.000 Asylbewerbern für 2015 aus und 600.000 für das Jahr 2016.Quelle
- Die "Wirtschaftsweisen" vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) schätzen die direkten zusätzlichen Ausgaben der öffentlichen Hand in ihrem Jahresgutachten auf 5,9 bis 8,3 Milliarden Euro für 2015 sowie auf 9 bis 14,3 Milliarden Euro im Jahr 2016.Quelle
- Deutlich pessimistischer ist die Schätzung des Münchener Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo): Die Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen würden sich im Jahr 2015 auf 21,1 Milliarden Euro belaufen. Dabei geht das Ifo-Institut von 1,1 Millionen Flüchtlingen pro Jahr aus und es bezieht neben direkten Ausgaben für Unterbringung und Versorgung auch Kosten für “Kitas, Schulen, Deutschkurse, Ausbildung und Verwaltung” mit ein.Quelle
- Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IFW) rechnet in einer "Simulation" mit Kosten in Höhe von bis zu 25,7 Milliarden Euro ab 2016. Langfristig könnten die jährlichen Kosten unter diesen Wert fallen oder auf bis zu 55 Milliarden Euro jährlich ansteigen.Quelle
Einflüsse auf das Wirtschaftswachstum
Überraschende Einigkeit herrscht unter den Wirtschaftsforschern darüber, wie die Integration der Flüchtlinge das Wirtschaftswachstum beeinflusst. Die Bundesregierung erwartet laut der "Herbstprojektion 2015" für das kommende Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 1,7 Prozent. Und auch die Ökonomen der meisten Forschungsinstitute rechnen mit einem Anstieg des Wirtschaftswachstums durch die Mehrausgaben für Flüchtlinge.
- Die fünf Wirtschaftsweisen vom SVR sehen eine positive Entwicklung und prognostizieren 0,2 Prozentpunkte mehr als bislang angenommen und 1,6 Prozent für 2016.Quelle
- Die Bundesbank rechnet in ihrer Vorausschätzung mit einem verstärkten Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent im Jahr 2016.Quelle
- Die Deutsche Bank hat in einer Studie den positiven Einfluss der Migration auf das Wirtschaftswachstum sogar auf 0,25 Prozent geschätzt – von 1,65 auf 1,9 Prozent im Jahr 2016.Quelle
- Das Münchener Ifo-Institut sieht in seiner Konjunkturprognose ebenfalls ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent für das kommende Jahr, wozu "die flüchtlingsgetriebene Mehrnachfrage" maßgeblich beitrage. Allerdings warnte Ifo-Chef Hans-Werner Sinn in Medienberichten davor, der positive Effekt sei nur kurzfristig. Langfristig sei der Zustrom von eher gering qualifizierten Flüchtlingen für den Staat ein “Zuschussgeschäft”.Quelle
- Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sehen das in einer Studie deutlich optimistischer: Nach einer ersten Phase, in der das Pro-Kopf-Einkommen um etwa ein Prozent schrumpfen wird, soll die berufliche Integration von Flüchtlingen dazu führen, dass jeder Deutsche etwa ein Prozent mehr verdient als vor zuvor.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Alle Wirtschaftsforscher rechnen mit einem kurzfristigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Unterschiedlicher Meinung sind sie allerdings über die langfristigen Folgen für den Arbeitsmarkt: Diese hingen stark davon ab, wie gut es der Politik gelingt, die Zugangshürden zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge zu senken. Die Ökonomen betonen, dass dieser Punkt entscheidend ist für die Gesamtkosten der Flüchtlingsintegration. Wenn es gelingt, Flüchtlinge zügig in Arbeit zu bringen, dann drücke das die Kosten insgesamt.
- Für das kommende Jahr erwartet das Bundesarbeitsministerium 300.000 bis 350.000 neue Hartz-IV-Empfänger durch die Flüchtlingsmigration, wie Medien berichten. Damit fallen die aktuellen Prognosen optimistischer aus als noch vor einigen Wochen. Im Oktober 2015 erwartete Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in einem Interview noch bis zu 460.000 anerkannte Asylbewerber, die im Jahr 2016 einen Antrag auf Hartz-IV stellen werden.
- Nahles sagte damals in einer Rede im Bundestag: “Nicht einmal jeder Zehnte kann direkt in Arbeit oder Ausbildung kommen" und bezog sich damit auf eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wonach die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen anfangs bei unter zehn Prozent liegt. In den folgenden fünf Jahren steige sie aber erfahrungsgemäß auf knapp 50 Prozent.
- Die Experten der führenden Wirtschaftsinstitute gingen in ihrem gemeinsamen Herbstgutachten von 89.000 Asylsuchenden in diesem Jahr aus, die für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Im Jahr 2016 soll deren Zahl auf 295.000 steigen.
- Die sogenannten "Wirtschaftsweisen" des SVR gehen in ihrem Jahresgutachten bis 2020 von bis zu 500.000 erwerbstätigen Flüchtlingen aus. Im ungünstigsten Fall könnten es auch nur halb so viele sein. Dem stünden im Schnitt 325.000 arbeitslose Flüchtlinge gegenüber.
Von Fabio Ghelli und Carsten Janke
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.