Proteste in Berlin-Hellersdorf, Hungerstreik am Brandenburger Tor, tote Bootsflüchtlinge vor der italienischen Insel Lampedusa – fast täglich sorgen die Themen Flucht und Asyl für Schlagzeilen. Wie aber ist die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland derzeit geregelt? Was genau verbirgt sich hinter den Begriffen Schutzquote, Anhörung und Erstaufnahmeeinrichtung? Der Mediendienst hat gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Informationsfahrt zum Thema organisiert. Journalisten trafen dabei Akteure und Experten, um über aktuelle Zahlen, Fakten und Herausforderungen im deutschen Asylsystem zu diskutieren.
Zahlen und Fakten
Erste Station der Fahrt war die Außenstelle des BAMF in Berlin-Spandau. In einem Hintergrundgespräch stellten Vertreter der Behörde wichtige Begriffe und aktuelle Zahlen vor. Jüngste Statistiken für das Jahr 2013 zeigen: Von Januar bis September wurden insgesamt 85.325 Asylanträge gestellt. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg um 74 Prozent. Verglichen mit der Bevölkerungsgröße und anderen europäischen Ländern liegt Deutschland damit jedoch im Mittelfeld.
Von den bereits entschiedenen Anträgen wurde knapp ein Drittel bewilligt – deutlich mehr als oftmals angenommen: In der medialen Debatte ist häufig von ein bis zwei Prozent die Rede. Diese Zahl bezieht sich jedoch nur auf Entscheidungen nach Art. 16a des Grundgesetzes (GG), wonach politisch Verfolgte Asyl genießen. Laut BAMF-Präsident Dr. Manfred Schmidt beinhaltet die Schutzquote hingegen alle positiven Entscheidungen. Dazu zählen neben positiven Entscheidungen nach Art. 16a GG auch der Flüchtlingsschutz nach dem Aufenthaltsgesetz beziehungsweise auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention und die "Feststellung von Abschiebeverboten".
"Bei der Debatte über Asylzahlen und Anerkennungsquoten wird deutlich, dass sich die Gründe, warum Menschen Schutz in Deutschland beantragen, in den letzten zwanzig Jahren stark gewandelt haben", betonte Schmidt. Nur ein Bruchteil der heute gestellten Asylanträge falle unter den "klassischen" Asylgewährungsgrund der politischen Verfolgung. Die Mehrzahl der Asylgesuche erfolge durch andere, oft komplexe Fluchtgründe, wie zum Beispiel "geschlechtsspezifische Verfolgung", Folter oder existenzielle Not. Dies erfordere eine intensive Prüfung der Anträge nach unterschiedlichen nationalen, europäischen und internationalen Richtlinien und führe mitunter dazu, dass sich die Verfahren in die Länge ziehen.
Wie kommen Asylentscheidungen zustande?
Grundlage für die Entscheidung über einen Asylantrag ist die Anhörung. Hier müssen Asylbewerber die Beweggründe und den Verlauf ihrer Flucht darlegen. Für die spätere Entscheidung spielen dabei zwei Fragen eine Rolle:
- Ist die Geschichte des Flüchtlings glaubwürdig?
- Was droht dem Betroffenen bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland?
Ob die Schilderungen als glaubwürdig eingestuft werden, hängt von Details in den Erzählungen ab: Die Geschichte des Flüchtlings darf keine Unstimmigkeiten und Widersprüche aufweisen. Ist sie stimmig, wird für die Entscheidung ausschlaggebend, ob eine Rückkehr lebensbedrohlich ist oder Gewalterfahrungen wie Folter anzunehmen sind. Um die Gefährdungslage vor Ort besser einschätzen zu können, arbeitet das BAMF eng mit anderen Behörden und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Wichtige Informationsquelle sind unter anderem die Lageberichte des Auswärtigen Amtes.
Wer aber entscheidet, ob ein Asylantrag bewilligt oder abgelehnt wird? Die Entscheider des Bundesamts sind in der Regel ausgebildete Diplomverwaltungswirte oder Juristen. Durch regelmäßige Schulungen verfügen sie über landes- und fallspezifisches Hintergrundwissen. Darüber hinaus gibt es in jeder Außenstelle des Bundesamts sogenannte „Sonderbeauftragte“. Diese werden bei besonders sensiblen Fällen hinzugezogen und stehen Kollegen und Vorgesetzten beratend zur Seite.
Das Problem der Unterbringung
Im Anschluss an das Hintergrundgespräch besuchten die Journalisten eine Erstaufnahme-Unterkunft für Flüchtlinge in Spandau. Hier werden Asylsuchende für mindestens sechs Wochen, längstens jedoch für drei Monate untergebracht. Danach ziehen sie in Gemeinschaftsunterkünfte oder Einzelwohnungen – so jedenfalls sieht es das Asylverfahrensgesetz vor.
Laut Franz Allert, Präsident des Landesamts für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo), ist dies in der Praxis jedoch nur schwer realisierbar. Grund hierfür seien nicht, wie oftmals angenommen, Auseinandersetzungen mit den Anwohnern, sondern vielmehr die prekäre Situation auf dem Berliner Immobilienmarkt: „Unser größtes Problem ist, geeignete Gebäude zu finden, deren Eigentümer bereit sind, ihre Räumlichkeiten für die Unterbringung von Asylsuchenden freizugeben“, so Allert. In Berlin haben sich sechs Wohnungsbaugesellschaften verpflichtet, jährlich 275 neue Wohnungen für Flüchtlinge bereitzustellen. In der Realität stünden jedoch deutlich weniger Wohnungen zur Verfügung. Folglich müssten einige Betroffene länger als drei Monate in Erstaufnahme-Einrichtungen wohnen.
„Seit Jahren fordern wir dieselben Reformen“
Die Journalisten sprachen auch mit zwei Rechtsanwälten und einer Beraterin von "Asyl in der Kirche". Alle drei haben langjährige Erfahrungen in der Asyl- und Flüchtlingsarbeit und verfolgen die Entwicklung der deutschen Asylpolitik aus der Perspektive von Asylsuchenden. „Seit Jahren fordern wir ein- und dieselben Reformen“, so die Berliner Rechtsanwältin Wiebke Wildvang. Insbesondere kritisierten die Experten das deutsche Flughafenverfahren, den Umgang mit Geduldeten sowie das geltende EU-Recht nach Dublin II, wonach nur ein Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist.
Viel Hoffnung, dass sich die Flüchtlingspolitik angesichts der aktuellen Kritik am europäischen Asylsystem ändern wird, haben sie nicht. „In Deutschland wissen wir ja derzeit noch nicht einmal, mit wem wir es in den nächsten vier Jahren zu tun haben werden“, so Wildvang.
Weitere Bilder von der Informationsfahrt finden Sie in unserer Fotogalerie.
Von Jennifer Pross
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