MEDIENDIENST: Herr Brücker, stimmt es, dass Flüchtlinge dafür sorgen, dass in Deutschland die Löhne sinken?
Brücker: Nein, so stimmt das nicht. Durch die Flüchtlinge werden die Löhne nicht sinken. Stattdessen werden viele Arbeitnehmer von der Zuwanderung profitieren.
Können Sie das näher erklären?
Häufig wird gesagt, ein größeres Angebot an Arbeitskräften führe zu sinkenden Löhnen und mehr Konkurrenz für deutsche Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Aber das stimmt aus mehreren Gründen im Moment nicht. Generell gilt: Wenn sich das Arbeitsangebot durch Zuwanderung ausweitet, bedeutet das nicht, dass die Löhne fallen. Denn mehr verfügbare Arbeitskräfte führen dazu, dass mehr investiert wird und die Wirtschaft wachsen kann. Die Kapital- und Gütermärkte passen sich an und das führt zumindest langfristig dazu, dass das Verhältnis von Kapital zu Arbeit und die Faktorpreise, also Löhne und Kapitalrenditen, gesamtwirtschaftlich konstant bleiben.
Der zweite Grund ist, dass Geflüchtete selten mit Deutschen um dieselben Jobs konkurrieren. Salopp gesagt, arbeiten Neuzuwanderer eher im Schnellimbiss an der Ecke als an der Kasse im Supermarkt. Für letzteres braucht man nämlich gute Deutschkenntnisse, so dass dort eher deutsche Geringqualifizierte zum Zug kommen. Weniger salopp ausgedrückt: Der deutsche Arbeitsmarkt ist sehr stark zwischen Deutschen und Migranten segmentiert, so dass beide Gruppen wenig konkurrieren.
Und wie zeigt sich das in der Wirtschaft im Moment?
Im Moment wächst unsere Wirtschaft und kann die neuen Arbeitskräfte gut gebrauchen. Besonders stark wächst die Nachfrage an Arbeitskräften gegenwärtig im unteren Lohnbereich, zum Beispiel in Helferberufen, wo viele Flüchtlinge arbeiten. Viele mittelständische Unternehmen nehmen diese Helfer in Anspruch und können deshalb weiter expandieren. Davon profitieren dann auch deutsche Arbeitnehmer.
Prof. Dr. Herbert Brücker ist Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und leitet den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). (Foto: Murr)
Zudem hat der Staat in den letzten Jahren viel Geld für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten ausgegeben. Das wirkt kurzfristig wie ein kleines Konjunkturpaket. So sind neue Jobs entstanden, zum Beispiel bei Lehrern und Erziehern oder beim Sicherheitspersonal in Flüchtlingsunterkünften. Auch davon profitiert kurzfristig die Beschäftigung, vor allem von Inländern.
Muss man sich also keine Sorgen machen?
Wenn überhaupt jemand die Konkurrenz von Geflüchteten und sinkende Löhne befürchten müsste, dann sind es ausländische Arbeitnehmer, insbesondere wenn sie auch erst kürzlich zugezogen sind, etwa aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU. Aber diese Konkurrenzeffekte dürften, aufgrund der günstigen konjunkturellen Entwicklung, kaum messbar sein.
Arbeitsmarktzahlen von Geflüchteten
Im September 2018 waren 467.000 geflüchtete Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit oder einem Jobcenter als arbeitsuchend gemeldet. Die Mehrheit von ihnen befand sich in Integrations- oder Ausbildungsmaßnahmen und stand somit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. 188.000 Geflüchtete waren als arbeitslos registriert – etwa so viele wie im Vorjahresmonat September. Das heißt: Sie standen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. 617.000 Geflüchtete im erwerbsfähigen Alter haben im Juni 2018 Leistungen nach SGB II bezogen – 9 Prozent mehr als im Vorjahresmonat.Quelle
Erwerbspersonen aus den TOP-8-"Asylherkunftsstaaten"
254.000 Menschen aus Asylherkunftsländern waren im Juni 2018 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Damit ist die Zahl der Beschäftigten in den letzten Jahren deutlich gestiegen (Übersicht) – im Vergleich zum Vorjahr um rund 54 Prozent (Quelle ). Die Arbeitslosenquote betrug im Juli 2018 38,3 Prozent und war somit deutlich höher als bei der Gruppe der Ausländer insgesamt (12,7 Prozent).Quelle
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Die Zahl der "Beschäftigten aus Asylherkunftsstaaten" gilt als Anhaltspunkt dafür, wie viele Flüchtlinge am Arbeitsmarkt ankommen. Sie erfasst allerdings auch Menschen, die schon länger in Deutschland leben. Wie gut diejenigen Arbeit gefunden haben, die seit 2015 gekommen sind, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einem Beitrag errechnet. Das Ergebnis: Jede vierte Person aus einem Asylherkunftsstaat, die seit 2015 eingereist ist, hat eine Beschäftigung gefunden (Stand Juni 2018: 28,3 Prozent). Quelle
Das heißt, Flüchtlinge verdrängen keine anderen Geringverdiener?
Viele Flüchtlinge arbeiten zuerst in Zeitarbeitsfirmen oder in der Gastronomie. Das sind Bereiche des Arbeitsmarkts, die seit Jahren besonders stark wachsen. Gerade in expandierenden Dienstleistungssektoren besetzen Flüchtlinge neue Stellen, die dringend gebraucht werden. Und es sind nicht so viele, dass dies zu Verdrängungseffekten bei anderen Arbeitskräftegruppen führen würde. Auch die Beschäftigung von deutschen Arbeitnehmern steigt hier überdurchschnittlich.
Wie viele Geflüchtete sind es, die bisher Arbeit gefunden haben?
Wir haben berechnet, dass inzwischen 28 Prozent der Menschen, die seit 2015 aus den wichtigsten Asyl-Herkunftsländern zu uns gekommen sind, einen Job gefunden haben. Bis Ende des Jahres dürfte es gut jeder Dritte sein. Seit 2015 haben 215.000 Personen eine Beschäftigung gefunden, die aus den wichtigsten Asylherkunftsländern kommen. Im Verhältnis zu den 36 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland ist das ein gutes halbes Prozent. Das dürfte weder zu sinkenden Löhnen führen noch zu einer spürbar gestiegenen Konkurrenz um Arbeitsplätze.
Interview: Carsten Janke
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