Anlasslose Personenkontrollen, verweigerte Anzeigen: People of Color (PoC) und Menschen mit „Migrationshintergrund“ berichten deutlich häufiger von Diskriminierung im Umgang mit der Polizei als Personen ohne „Migrationshintergrund“ oder weiße Menschen. Das geht aus einer Expertise der Ruhr-Universität Bochum für den MEDIENDIENST hervor.
Ein Forschungsteam rund um den Kriminologen Tobias Singelnstein hat untersucht, welche Erfahrungen Betroffene von Polizeigewalt machen. Aus den Ergebnissen folgert Singelnstein auf dem Pressegespräch: Rassismus sei kein individuelles Problem einzelner Beamt*innen. „Es hat eben auch mit den Strukturen der Polizei zu tun: Mit den Aufgaben der Polizei, der Art und Weise wie sie diese erledigt, was für eine Binnenkultur es gibt und wie mit Fehlern und Missständen umgegangen wird“, so Singelnstein.
Wie erleben Betroffene Rassismus durch die Polizei?
People of Color erfahren Diskriminierung durch Polizeibeamt*innen etwa bei anlasslosen Personenkontrollen. Häufig sind es genau diese Personenkontrollen, die später in Gewalt gipfeln. Das bestätigt der Menschenrechtsanwalt Blaise Francis El Mourabit. Er berät ehrenamtlich Opfer rassistischer Polizeigewalt. Und berichtet von der Erfahrung einer Mandantin: Sie begann, eine Kontrolle zu filmen und weigerte sich, damit aufzuhören. Daraufhin entwand ihr ein Polizist das Handy mit Gewalt und fixierte sie mit seinem Körpergewicht auf dem Boden – so lange, bis sie das Bewusstsein verlor, erzählt El Mourabit.
Solche Berichte von Betroffenen müsse die Politik ernstnehmen, fordert El Mourabit: „Wir haben genug einzelne Fälle, die die Politik eigentlich zum Handeln bewegen sollten.“ Es passiere aber zu wenig. Betroffene fühlen sich laut dem Anwalt deshalb von der Politik im Stich gelassen.
Wie kann es weitergehen?
El Mourabit hat klare Vorstellungen, was sich ändern muss: Es brauche eine unabhängige Stelle, die Verdachtsfällen von rassistischer Polizeigewalt nachgeht. Sonst ermittelt Polizei gegen Polizei, und das könne zu Interessenskonflikten führen. Und es brauche Body-Cams. Die sollten an der Kleidung der Beamt*innen befestigt sein und eingeschaltet werden müssen, wenn sie in Grundrechte eingreifen, so El Mourabit. „Der Betroffene hat dann schlicht und einfach ein sehr gutes Beweismittel.“
Die Fachleute sind sich einig: Es braucht mehr Forschung zu Rassismus in der Polizei. Und zwar nicht nur eine „Polizeistudie“. Sondern ganz viel Forschung, betont Astrid Jacobsen. Sie lehrt an der Polizeiakademie Niedersachsen und wurde damit beauftragt, Rassismus in der Polizeipraxis in ihrem Bundesland zu untersuchen.
Von Studien auf Landesebene verspricht sich Jacobsen mehr als von einer gesamtgesellschaftlichen Untersuchung von Rassismus. Die hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) immer wieder in der Debatte um Rassismus bei der Polizei vorgeschlagen. Auch El Mourabit sagt: Das reiche nicht. Und betont, wie wichtig es für Betroffene sei, eben bei der Polizei Rassismus zu untersuchen: „Es ist gefährlicher, wenn ein rassistischer Polizist auf den Straßen Deutschlands unterwegs ist, als wenn ein rassistischer Bürger auf den Straßen Deutschlands unterwegs ist.“
Von Viviann Moana Wilmot
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.