Die Bundesregierung hat einen ambitionierten Reformplan vorgestellt, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Dafür sind erhebliche Ressourcen „zur Entlastung von Ländern und Kommunen“ geplant:
- Länder und Kommunen erhalten in diesem Jahr zwei Milliarden Euro für den Ausbau des Aufnahmesystems für Flüchtlinge.
- Ab 2016 wird der Bund den Ländern für die gesamte Dauer des Asylverfahrens eine Flüchtlingspauschale von 670 Euro pro Monat und Person zahlen. Diese Kosten sollen durch eine Rücklage von fünf Milliarden Euro gedeckt werden.
- Zudem will der Bund in den kommenden drei Jahren 500 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgeben – eine Maßnahme, die auch den Flüchtlingen zugutekommen soll.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hat die Entscheidung zwar als Signal der Einheit zwischen Bund und Ländern begrüßt. Vor allem seitens der Kommunen wird jedoch bezweifelt, dass die geplanten Hilfen zu einer ausreichenden Entlastung führen werden.
Wer ist für was zuständig?
Unter normalen Bedingungen funktioniert die Verteilung der Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Kommunen folgendermaßen:
- Der Bund ist durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für das Asylverfahren zuständig,
- die Bundesländer sind in den ersten drei Monaten des Aufenthalts (sogenannte Erstaufnahme) für Unterbringung und Versorgung verantwortlich,
- die Kommunen für die Zeit danach (Anschlussunterbringung).
Die Kosten für Unterbringung und Versorgung entfallen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht auf den Bund, sondern gänzlich auf Bundesländer und Kommunen. Letztere strecken die Kosten für alle Leistungen wie Unterkunft, Kleidung und Essen vor und bekommen sie dann vom jeweiligen Bundesland erstattet – allerdings nur zum Teil: In acht von dreizehn Flächenländern bekommen die Kommunen nur eine pauschale Rückerstattung – und zwar unabhängig davon, wie hoch die tatsächlichen Kosten sind.
Versorgung variiert je nach Wohnort
Die Kostenverteilung regelt jedes Bundesland durch ein eigenes Aufnahmegesetz. So erstatten einige Länder die Pauschale jährlich, andere monatlich. Auch die Höhe der Pauschale fällt sehr unterschiedlich aus: Bekommen die Kommunen Brandenburgs in diesem Jahr monatlich 768 Euro pro Flüchtling (ausgenommen sind Sonderleistungen wie etwa medizinische Verpflegung), liegt die durchschnittliche Flüchtlingspauschale in Niedersachsen bei lediglich 516 Euro.Quelle
Dieses System führt zu sehr unterschiedlichen Unterbringungs-Standards. Für Hannes Schammann, Experte für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim, ähnelt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierungen daher einem „Flickenteppich“: „Ob ein Asylbewerber Zugang zu Integrationskursen oder zu einer umfangreichen Gesundheitsversorgung hat, hängt davon ab, wo er aufgrund des Verteilungsschlüssels landet. Denn jedes Bundesland und jede Kommune können zum Großteil selbstständig entscheiden, wie gut beziehungsweise wie schlecht die Lebensbedingungen von Flüchtlingen sein sollen."
In einigen Fällen würden Bundesländer und Kommunen diesen Ermessensspielraum dazu nutzen, um den Zugang zu bestimmten Leistungen zu erschweren. Eine Vorstudie des Nationalen Normenkontrollrats in zwei Muster-Kommunen in Bayern und Schleswig-Holstein hat kürzlich gezeigt: In der südlichen Kommune ist die Bereitstellung der Mittel für Asylbewerber mit großem bürokratischen Aufwand verbunden – sowohl für die Behörden als auch für die Antragsteller. Im Norden werden die Leistungen dagegen zum Großteil automatisch zugeteilt – was zu deutlichen Ersparnissen führt.
Die Kommunen sind weiterhin auf die Länder angewiesen
Die neue Gesetzgebung dürfte wenig an dieser Situation ändern. Denn die rund fünf Milliarden Euro, welche die Bundesregierung für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen versprochen hat, können nach dem Grundgesetz nur an die Länder vergeben werden. Deshalb bewertet Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetags, die Verabredung zwischen Bund und Ländern in einer Stellungnahme zwar als "gute Grundlage". Diese würde jedoch nicht erklären, wie die Kommunen konkret entlastet werden sollen, in denen derzeit ein Großteil der Kosten anfalle.
Derzeit sind viele Erstaufnahmeeinrichtungen überlastet. Deshalb verteilen die Bundesländer Asylbewerber oft bereits nach wenigen Tagen auf die Kommunen, wie das Innenministerium bereits im August bekannt gab. Hinzu kommen Geduldete und andere abgelehnte Asylbewerber. Ein Beispiel: In Brandenburg wurden im ersten Halbjahr 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als dreimal so viele Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt, wie das Landesministerium für Arbeit und Soziales auf Anfrage des MEDIENDIENSTES mitteilte.
Vor diesem Hintergrund wollen mehrere Bundesländer den Kommunen mehr Mittel für den Ausbau der Aufnahmekapazitäten bereitstellen. Niedersachsen etwa hat dafür bereits 120 Millionen Euro zugesagt – davon 80 Millionen vom Bund und 40 Millionen aus den Landeskassen. Brandenburg zahlt hingegen pro Schlafplatz eine Pauschale von 2.300 Euro. Und die Kommunen des Freistaats Sachsen können sich für die nächsten zwei Jahre auf Zahlungen von jeweils zehn und 20 Millionen Euro freuen.Quelle
Die Kommunen tragen die Kosten der Integration
Doch das Problem der Kommunen ist strukturell: Seit 2008 melden Städte und Landeskreise in Hessen pro Jahr und "Gebietskörperschaft" fehlende Rückerstattungen für die Versorgung von Flüchtlingen im Wert von jeweils rund 40 Millionen Euro, Tendenz steigend – so der hessische Städtetag auf Anfrage des MEDIENDIENSTES. Selbst wenn die Landesregierung die zusätzlichen Mittel, die ihr der Bund in Aussicht gestellt hat, an die Kommunen weiterreicht, würde das kaum ausreichen, um das Defizit deutlich zu reduzieren.
Denn dem Nürnberger Oberbürgermeister und ehemaligen Städtetagspräsidenten Ulrich Maly zufolge haben die Kommunen letztlich vor allem die Aufgabe, Flüchtlinge langfristig zu integrieren: „Neben dem Management der Erstaufnahme muss das Augenmerk deutlich mehr auf die langfristig zu erledigenden Aufgaben der Integration gerichtet werden."
Auch der Migrationsforscher Hannes Schammann glaubt nicht, dass das aktuelle Gesetzesvorhaben die Anstrengungen der Kommunen ausreichend würdigt. Durch die Verschärfung der Kontrollen für Geduldete und abgelehnte Asylbewerber könnten die kommunalen Ausländerbehörden sogar stärker belastet werden. "Mehrere Ausländerbehörden haben den Gesetzentwurf ausdrücklich kritisiert", so Schammann. Dem Gesetzespaket zufolge sollen sie unter anderem überprüfen, ob ein Asylbewerber in Deutschland bereits Leistungen bezogen hat. Auch ob ein geduldeter Flüchtling abgeschoben werden kann, soll viel öfter als bisher kontrolliert werden.
Von Fabio Ghelli
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