Am 1. Mai 2004 – vor 20 Jahren – traten zehn Staaten der EU bei. Neben Malta und Zypern waren das acht Staaten aus Ost- und Südosteuropa: Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien sowie Ungarn (EU 8). Am 1. Januar 2007 kamen Bulgarien und Rumänien (EU 2) dazu, am 1. Juli 2013 Kroatien.
Die Mitgliedstaaten der EU einigten sich mit der Osterweiterung auf eine Übergangszeit („2+3+2-Regel“) für die Öffnung des Arbeitsmarktes: Nur Irland, Schweden und Großbritannien erlaubten die Arbeitskräfteeinwanderung sofort. Das schlug sich in den Migrationszahlen nieder: Die Zuwanderung aus Polen nach Großbritannien erreichte im Jahr 2007 mit 88.000 Personen einen Höhepunkt.
Deutschland und Österreich reizten die siebenjährige Frist voll aus – aus Sorge vor steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen in der deutschen Bevölkerung, worüber es hitzige Debatten gab. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-8-Staaten galt hier ab 2011, für Bulgarien und Rumänien ab 2014. In Deutschland erreichte die Zuwanderung aus den EU-8 Staaten 2014 einen Höhepunkt. Danach kamen mehr Menschen aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland, der Höhepunkt war hier 2018 erreicht.
Ein Blick auf die Wanderungsbilanz – also den Unterschied zwischen Zuzügen und Fortzügen – zeigt: Viele Menschen ziehen auch wieder (zurück) in ihre Herkunftsländer oder weiter in andere Staaten. Ab 2011 zogen etwa immer mehr Menschen von Deutschland nach Polen – 2019 in etwa genauso viele, wie von Polen nach Deutschland zogen.
Polen entwickelt sich immer mehr zum Einwanderungsland und vergibt seit mehreren Jahren EU-weit die meisten Visa zu Arbeitszwecken innerhalb der EU. Dennoch hatten und haben einige Länder mit Bevölkerungsrückgang und insbesondere mit der Abwanderung qualifizierter Personen zu kämpfen.
Der Zahl der ausländischen Staatsbürger*innen in Deutschland aus den ost- und südosteuropäischen Ländern nahm insbesondere zwischen 2011 und 2017 deutlich zu. Seitdem hat sich die Entwicklung verlangsamt. Insgesamt hat sich seit der Osterweiterung der Anteil an Personen aus den zehn Staaten in etwa verdoppelt: 2003 kamen 8,6 Prozent aller ausländischen Staatsbürger*innen aus diesen Ländern – 2022 waren es mit über 2,6 Millionen Personen rund 20 Prozent. Es kommen vor allem Personen zum Arbeiten, einige bleiben nur ein paar Monate oder Jahre und gehen dann wieder zurück, andere wiederum ziehen gar nicht nach Deutschland und pendeln.
Hohe Beschäftigungsquoten
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den zehn ost- und südosteuropäischen Staaten hat deutlich zugenommen. Die Zahl der Arbeitslosen bleibt auf niedrigem Niveau. Zusammen mit der Türkei sind Polen und Rumänien die Top 3 Herkunftsländer unter den Beschäftigten insgesamt.Quelle
In den letzten zehn Jahren hat die Beschäftigungsquote von Personen aus den Erweiterungsstaaten deutlich zugenommen. Im Jahr 2023 lag sie bei über 60 Prozent, für Bulgarien und Polen sogar bei knapp 70 Prozent. Das ist eine höhere Quote als bei den ausländischen Staatsbürger*innen insgesamt. Und auch in der Gesamtbevölkerung hat sie im gleichen Zeitraum zugenommen.
Einer ZEW-Studie zufolge ging der Anteil der geringfügig Beschäftigten aus den Ländern deutlich zurück. Im September 2023 lag die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten für beide Ländergruppen bei je rund 68.000. Entsendungen spielen für die EU-8 eine wichtige Rolle: Jährlich werden rund 250.000 Personen entsandt. Hinzu kommt noch eine kleinere Zahl an Selbstständigen.Quelle
Bau, Transport, Reinigung: Arbeitskräftemangel abgefedert
In manchen Engpass-Berufen stellen osteuropäische Arbeitskräfte fast jede vierte oder fünfte Arbeitskraft – besonders im Transport oder der Landwirtschaft. Im Schnitt verdienen Personen aus den EU-8-Staaten rund 30 Prozent weniger als der Durchschnitt aller Beschäftigten (2580 EUR / 3650 EUR).Quellen
Im September 2023 arbeiteten die meisten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den EU-8-Staaten (insgesamt: 830.557 Personen) laut Bundesagentur für Arbeit:
- Im Baugewerbe (rund 63.500 Personen)
- In der Lagerwirtschaft (rund 59.000 Personen)
- Im Transport (rund 45.500 Personen).Quelle
Die meisten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus Rumänien und Bulgarien (insgesamt: 713.552 Personen) arbeiteten im September 2023 vor allem:
- In der Gebäudebetreuung – vor allem in der Reinigung (74.500 Personen)
- Im Baugewerbe (64.500 Personen)
- In der Nahrungsmittelherstellung (rund 59.000), davon die meisten in der Fleischverarbeitung
Anders sehen die Zahlen für geringfügig Beschäftigte aus: In beiden Ländergruppen arbeiteten hier bei Weitem die meisten in der Reinigung; weiterhin sind viele Personen in der Gastronomie und der Landwirtschaft tätig. Bei den EU-8 Staaten ist eine geringfügige Beschäftigung in privaten Haushalten häufig vorzufinden.Quelle
Die Studie des ZEW zeigt: Personen aus den Erweiterungsstaaten haben in den Branchen deutlich zum Beschäftigungswachstum beigetragen. Und: Sie arbeiten überdurchschnittlich in Sektoren, die vom Arbeits- und Fachkräftemangel betroffen sind und haben dort vermutlich zur Entlastung beigetragen.Quelle
Viele arbeiten unter ihrer Qualifikation und prekär
Sehr viele Personen arbeiten deutlich unter ihrer Qualifikation. Immer wieder gibt es Berichte zu prekären Arbeitsbedingungen, so etwa in der Fleischindustrie. Ein wichtiger Bereich sind auch die Live-in Pflegekräfte, die 24-Stunden zu Hause pflegen. Sie werden oft entsendet, sind scheinselbstständig oder arbeiten irregulär. Schätzungen gehen davon aus, dass in rund 160.000 Haushalten in Deutschland oft mehrere sogenannte Live-ins tätig sind, andere Schätzungen reichen bis zu 700.000 Live-ins.Quelle
In einem Interview sagt die Sozialwissenschaftlerin Aleksandra Lewicki: Menschen aus osteuropäischen Staaten seien besonders häufig prekär beschäftigt und überqualifiziert für die Jobs, die sie ausüben. Strukturelle Faktoren – etwa wie Personen Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wird – und auch Vorurteile spielten dabei eine wichtige Rolle. In den Ländern selbst werde die Arbeitsmigration häufig als eine selbstverständliche Lebensoption begriffen. In westeuropäischen Ländern sei das ganz anders – und es werde zu wenig darüber gesprochen, warum solche Unterschiede fortbestehen.
Von Andrea Pürckhauer
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.