Selten war die Weltlage so konfliktreich, unübersichtlich und komplex. Umso mehr ist es Aufgabe journalistischer Arbeit, aktuelle Entwicklungen, Probleme und Debatten einem möglichst großen Publikum zu vermitteln. Dazu gehört heute auch der Austausch und die Diskussion über einzelne Themen mit den Bürgern, gerade in den sozialen Netzwerken.
Dies spiegelt sich in zahlreichen ZDF-Angeboten wider – etwa von heute.de, “WISO“, „Frontal21“, „Zoom“, „heute+“, „maybrit illner“ oder dem „ZDF-Morgenmagazin“. Gerade im Wahljahr gehören Social-Media-spezifische Formate zum Gesamtangebot.
Die negative Seite dieses Social-Media-Engagements ist die Konfrontation mit einer Welle von Hass, Häme und Bedrohungen. „Hate speech“ findet auf allen Kanälen statt. Sie ist zumeist themengetriggert, deutlich stärker bei Facebook als bei Twitter, während YouTube-Kommentare wieder eine andere Qualität haben. Die Erfahrung zeigt, dass es kaum Angebote in sozialen Medien gibt, die nicht auch einmal Ziel eines Shitstorms wurden. Es muss jedoch jeweils unterschieden werden, was die Ursache dafür war. Wir wissen, dass es Schlüsselthemen gibt, die stark polarisieren und emotionalisieren. Es gibt aber auch Personen, die besonders viel „Hate speech“ triggern.
Welche Strategien haben sich bewährt?
Gegen Hass gibt es kein Patentrezept. Man kann ihm aber mit konsequenten Maßnahmen begegnen, ihn antizipieren und abschwächen, man kann konsequent redaktionell damit umgehen und die Mitarbeiter, soweit möglich, schützen. Folgende vier „R-Regeln“ können dafür eine Grundlage bilden:
- Ruhe bewahren und richtig reagieren
- Redigieren, Rechte einhalten und nutzen
- Regeln des Hauses einhalten
- Rausziehen
Zunächst gilt es Ruhe zu bewahren, richtig zu reagieren. Journalisten müssen einiges aushalten und lernen, auch mal abzuwarten, ob sich einzelne Kommentare auch wirklich zu einem „Shitstorm“ auswachsen. Wer sachlich bleibt, Fragen beantwortet und positives Feedback verstärkt, schafft auf Dauer eine solide Kommunikationsbasis mit dem Gros der Follower. Eine derlei gefestigte Kommunikationskultur mit den Fans einer Seite kann helfen, mit „Hatern“ in der Gruppe umzugehen. Zudem sollte nicht jede Debatte mit jedem einzelnen Troll individuell geführt werden. Bei berechtigter Kritik, egal in welcher Form, gehört zur richtigen Reaktion aber auch eine transparente Fehler-Kultur. Journalisten machen Fehler. Geschieht das im ZDF, geben wir diese zu, korrigieren sie in den Beiträgen und publizieren sie auf der Korrekturen-Seite von heute.de.
Dr. YVETTE GERNER arbeitet seit fast zwanzig Jahren als Journalistin beim ZDF. Seit 2010 ist sie Chefin vom Dienst in der ZDF-Chefredaktion. Zu ihren Aufgaben gehört der Umgang mit „Shitstorms“ und Anfeindungen bei Drehs oder im Netz. Kürzlich hat sie als Referentin bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES über Strategien gegen "Hate Speech" gesprochen.
Ein besonders effektives Mittel, Hass und Häme den Stachel zu nehmen, sind eine gewisse Leichtigkeit und Humor beim Umgang mit den Kommentaren. Eine kluge, witzige Antwort hilft oft mehr als eine reine Auseinandersetzung auf der Sachebene – denn Hatern geht es nur zum Teil um die Sache.
Doch es gibt auch klare Grenzen für die Meinungsäußerungen auf unseren Seiten. Die geltende „Netiquette“ beschreibt grundlegende Regeln für den Umgang auf unseren Plattformen. Verstößt ein User gegen diese Netiquette, wird darauf transparent und sachlich hingewiesen. Bei Wiederholungsfällen kann der Nutzer gesperrt werden. Bei klaren Verstößen gegen geltendes Recht – z.B. Holocaust-Leugnung – muss hart aber transparent reagiert, gelöscht und gegebenenfalls die Hilfe des Justiziariats hinzugezogen werden.
Besonders schwierig ist der Umgang mit persönlichen Beleidigungen, Diffamierungen und Bedrohungen von einzelnen Personen wie Moderatoren. Oft verstecken sich die Hater hinter Pseudonymen, sind nicht ermittelbar und damit strafrechtlich nur schwer zu verfolgen. Es gibt aber eine etablierte und professionelle Unterstützung durch das ZDF-Justiziariat und das Sicherheitsmanagement, sodass juristische und andere Schutzmassnahmen bei Bedarf ergriffen werden. In Einzelfällen sind rechtliche Schritte erfolgreich – ein wichtiges Signal an Hater nach draußen, aber auch nach innen an die Mitarbeiter.
Aufmerksamkeit in der Redaktion als Frühwarnsystem
Umgekehrt müssen die Mitarbeiter Vorgaben des Hauses einhalten, denn sie dienen auch dem Schutz vor Attacken. Dazu gehört ein bewusster Umgang mit privaten und dienstlichen Äußerungen. Wer sich als ZDF-zugehörig zu erkennen gibt, wird immer auch als Mitarbeiter des Unternehmens wahrgenommen und sollte sich dessen bewusst sein – auch wenn er vorgibt, dort "nur" privat unterwegs zu sein.
Werkzeuge zum besseren Umgang und Reaktion auf "Hass" und "Häme" im Netz bieten zudem Workshops und Seminare, kollegiale Beratung sowie ein mehrstufiges Unterstützungskonzept. Aufmerksamkeit in der Redaktion und dem kollegialen Umfeld dienen als Frühwarnsystem. Manchmal reichen Pausen, ein Gespräch. Wenn nicht, stehen psychologisch besonders geschulte Kollegen als niedrigschwellig zu erreichende Ansprechpartner zur Verfügung. In besonders schweren Fällen psychologische Betreuung angeboten werden.
Mit einem solchen Maßnahmenmix kann ein Umgang mit "Hate speech" in Medienunternehmen besser gelingen – er bleibt aber eine tägliche Herausforderung. Wir wollen uns durch "Hate speech" aber nicht aus der Ruhe bringen lassen: Social Media ist eine große Chance und gehört inzwischen fest zu unserem journalistischen Angebot.
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