Menschen mit und ohne Migrationshintergrund haben ein ähnliches Verständnis davon, was "Deutschsein" ausmacht – und sie fühlen sich gleichermaßen zu Deutschland zugehörig. Das haben zwei Untersuchungen im Auftrag der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, festgestellt. Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) hat für seine Studie „Postmigrantisch III“ 8.000 Personen interviewt. Der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat Daten aus dem Integrationsbarometer ausgewertet. Dabei zeigte sich:
- 87 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund sagten dem SVR, sie fühlten sich zur deutschen Gesellschaft zugehörig. Das sind lediglich fünf Prozentpunkte weniger als bei Deutschen ohne Einwanderungsgeschichte.
- „Pflichtbewusstsein“ und „Strebsamkeit“ sind für beide Gruppen die Tugenden, die laut BIM-Umfrage Deutschland am besten beschreiben.
- Sehr ähnlich sind die Ergebnisse auch, wenn es um die "emotionale" Bindung zu Deutschland geht: 85,6 Prozent der Befragten ohne und 82,4 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund stimmen dem Satz zu: "Ich liebe Deutschland".
Als "Deutscher" wird man nicht geboren
Beide Studien heben hervor, dass sowohl Deutsche mit als auch ohne Migrationshintergrund das "Deutschsein" immer weniger als eine angeborene Eigenschaft ansehen, sondern eher als etwas, das man sich "erarbeiten" kann.
- So herrscht in beiden Gruppen nahezu Einstimmigkeit darüber, dass die Fähigkeit, Deutsch zu sprechen, ein wichtiges Merkmal für das "Deutschsein" ist: Das denken laut BIM-Umfrage 96,5 Prozent der Befragten ohne Einwanderungsgeschichte und 98,6 Prozent derjenigen mit Migrationshintergrund.
- 89,2 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund, die an der SVR-Umfrage teilgenommen haben, sehen einen festen Arbeitsplatz als wichtige Eigenschaft „um zur Gesellschaft dazuzugehören“. Bei Befragten aus Einwandererfamilien waren es sogar 93,3 Prozent.
Angeborene Eigenschaften wie etwa die deutsche Abstammung, der Geburtsort oder der kulturelle und religiöse Hintergrund spielen hingegen eine untergeordnete Rolle:
- Laut BIM-Studie denken nur 37,6 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund, dass man deutsche Vorfahren haben muss, um Deutsch sein zu können. Bei Menschen aus Einwandererfamilien sind es rund 34 Prozent. Vor 13 Jahren waren das noch zehn Prozentpunkte mehr.
- In Deutschland geboren zu sein ist für ein Viertel der Befragten ohne Migrationshintergrund und für etwa einen Drittel derjenigen mit Migrationshintergrund ein wichtiges Zugehörigkeitsmerkmal, so der SVR.
Unterschiedliche Gruppen achten auf unterschiedliche Merkmale
Die Studien zeigen aber auch, dass es Unterschiede zwischen einzelnen Einwanderer-Gruppen gibt, etwa bei dem Gefühl, zu Deutschland dazuzugehören:
- Dem SVR-Barometer zufolge haben Einwanderer muslimischen Glaubens häufiger das Gefühl, sie gehörten nicht zu Deutschland. 88 Prozent aller Befragten mit Migrationshintergrund fühlen sich als Teil Deutschlands. Bei muslimischen Migranten der ersten Generation fühlen sich nur 66 Prozent zugehörig. In der zweiten Generation steigt der Anteil aber auf 84 Prozent.
Die SVR-Umfrage zeigt auch: Je länger Einwanderer in Deutschland leben, desto unwichtiger sind für sie exklusive Kriterien wie etwa der Geburtsort:
- Mehr als die Hälfte der Befragten, die weniger als fünf Jahre in Deutschland leben, denken, man müsse in Deutschland geboren sein, um Deutsch zu sein. Bei denen, die mehr als zehn Jahre im Land waren, wird diese Meinung von lediglich einem Viertel der Befragten geteilt.
Auch wenn es etwa um ihre Einstellung zum Kopftuch geht, unterscheiden sich einzelne Gruppen stark:
- Etwa 36 Prozent der Nicht-Muslime unter den Befragten mit Migrationshintergrund denken laut BIM-Studie, man solle auf das Kopftuch verzichten, um Deutsch zu sein. Bei muslimischen Befragten mit Migrationshintergrund lag der Anteil nur bei 20 Prozent.
Von Fabio Ghelli
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