Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen sogenannten Migrationshintergrund, in deutschen Redaktionsräumen aber nur jeder 50. Journalist. Diese Diskrepanz begünstigt, dass bisweilen ein verzerrtes Bild von Migranten konstruiert wird. Und das bleibt nicht unbemerkt, glaubt man einer Umfrage, wonach jeder zweite Bundesbürger (48 Prozent) die Darstellung von „Menschen mit ausländischer Herkunft” in den Medien als klischeehaft beurteilt.
Also wurde der Mediendienst Integration ins Leben gerufen, auch um der teils stereotypen Darstellung von Eingewanderten und ihren Nachkommen entgegenzuwirken. So war es für Projektleiterin Ferda Ataman und ihre Kollegin Rana Göroglu auch ein „aufregender Moment“, dieses in Deutschland bislang einzigartige Projekt vorzustellen, wie Ataman in ihrer Eröffnungsrede zum feierlichen Auftakt am 27. November sagte. Sie haben eine Servicestelle für Journalisten zu den Themen Integration, Migration und Asyl eingerichtet. Aber nicht nur Medienschaffende können sich an den Dienst wenden, wenn sie nach Informationen oder Experten suchen. Auch Wissenschaftlern bietet er eine Plattform, ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren, zu aktuellen Debatten Stellung zu beziehen – und dies mediengerecht, also knapp und verständlich. Ein weiteres Ziel sei es, diejenigen stärker selbst zu Wort kommen zu lassen, über die sonst berichtet wird: die sogenannten Migranten.
An diesem Abend sind sich die Gäste offenbar in einem Punkt einig: Kommunikation via Medien ist ein wesentlicher Teil von Demokratie und der Mediendienst Integration will zur demokratischen Partizipation von pluralen Expertenmeinungen und Minderheiten beitragen. Ein solches Angebot wirft aber auch Fragen auf: Brauchen wir in unserem rechtsstaatlichen und demokratischen Staat so einen Mediendienst überhaupt? Stellt seine blanke Existenz nicht die Ausgewogenheit unserer Medienlandschaft in Frage? Ist er wirklich notwendig, um Klischees und Stereotype abzubauen? Die Antwort lautet: Ja. Denn bislang werden noch immer Stereotype von Menschen nichtdeutscher Herkunft verbreitet, die bisweilen heftige Bauchschmerzen verursachen.
Bei der Podiumsdiskussion mit dem Journalisten und Vorsitzenden des Fachbeirats Werner Sonne herrschte weitestgehende Einigkeit zwischen der Bildungsforscherin Marianne Krüger-Potratz vom Rat für Migration, der Integrationsbeauftragten des Bundes Maria Böhmer sowie Pia Gerber von der Freudenberg-Stiftung und Astrid Ziebarth vom German Marshall Fund: „Medien liefern ein wichtiges Spiegelbild unserer Gesellschaft“, so Krüger-Potratz. Doch bislang sei die Vielfalt in der Gesellschaft nicht immer und in allen Medien so präsent, wie es wünschenswert wäre. Böhmer ergänzte, man müsse „offene Augen und Ohren haben, wenn Klischees bedient werden“. Die Situation in Redaktionen machte sie dabei als einen Faktor für unausgeglichene Berichterstattung aus: „In Printredaktionen sitzen 1,8 Prozent Journalisten mit Migrationshintergrund, in 87 Prozent der Redaktionen überhaupt keine Journalisten mit ausländischen Wurzeln. Hier gibt es großen Nachholbedarf.“Quelle
Was also bedeutet die aktuelle Situation für eine kulturell, religiös und ethnisch gemischte Gesellschaft wie unsere? Warum werden Fragen der Integration in Medien eigentlich so oft als Problem dargestellt? Warum wird Integration so selten als Chance verstanden? Für Krüger-Potratz ist die Antwort klar: „Es geht um einen Grundkonsens der Mehrheitsgesellschaft in den Medien. Die Migranten kommen von draußen dazu.“ Es herrsche die Ansicht, sie müssten „noch was lernen“. Oder, um es mit den Worten der Gastrednerin Gesine Schwan zu sagen: „Wir Deutsche gehen oft von einer ziemlich homogenen Mehrheitsgesellschaft aus. Minderheiten müssen sich irgendwie in sie integrieren, durch Anpassung, so, dass man gar nicht mehr merkt, dass sie eigentlich anders sind. Dies ist eine völlig falsche Perspektive. Das passt mit demokratischen Grundwerten nicht zusammen.“ Die Gesellschaft sei nicht homogen, sondern auch unabhängig von der kulturellen oder ethnischen Herkunft ohnehin plural. „Integration ist eine ständige Aufgabe für alle Teile der Gesellschaft und nicht die Anpassung einer Minderheit in eine vermeintlich homogene Mehrheitsgesellschaft“, so Schwan.
Auch Krüger-Potratz wollte Integration als gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess verstanden wissen: „Wir sollten diesen stattfindenden kulturellen Wandel medial begleiten, einfach um klarzustellen, dass es ihn tatsächlich gibt.“ Gerade im europäischen Raum könne es beim Thema Migration und Integration nicht mehr um die Frage nach „Tür auf oder Tür zu“ gehen. „Das ist preußische Migrationspolitik“, so Krüger-Potratz.
Auch der Mediendienst Integration, der den diskutierten Begriff im Namen hat, sieht das glücklicher weise so: Integration bedeutet nicht die Anpassung der Wenigen an die Vielen. Integration bedeutet vielmehr, gleich zu sein, trotz aller Unterschiedlichkeit. Denn Unterschiedlichkeit ist längst Normalität, in allen gesellschaftlichen Schichten. Unterschiedlichkeit findet sich im sozialen Status, im Dialekt, in der Hautfarbe, der kulturellen Identität, der ethnischen Herkunft.
In den USA wurde während der 1950er und 1960er Jahre der Ausdruck geprägt, different but equal und so sei es dort heute auch völlig normal, dass in den Medien verschiedene Ethnien zu sehen seien, so Astrid Ziebarth. In Deutschland hingegen bewegen wir uns zur Zeit in einer Phase, in der wir lernen, dass es schlichtweg darum geht, „die neue Normalität widerzuspiegeln“, so Ziebarth weiter.
Dass die Einwanderungsgesellschaft in ihrer ganzen Bandbreite wahrgenommen wird und die vielen weißen Flecken sichtbar werden, an denen das Zusammenleben und die Vereinbarkeit verschiedener Kulturen in diesem Land bereits hervorragend gelingen, wird der Mediendienst hoffentlich beitragen.
Dr. Chadi Bahouth ist Vorstandsmitglied bei den Neuen deutschen Medienmachern und Journalist für Rundfunkt und Print.
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