Der Artikel ist bereits am 9. Mai 2022 erschienen und wurde am 10. Mai 2022 aktualisiert.
Politisch Motivierte Straftaten haben während der Corona-Pandemie deutlich zugenommen: 2021 wurden 33,7 Prozent mehr Straftaten registriert als 2019.
Vor allem die Straftaten, die als "nicht zuzuordnen" gelten, also weder dem rechten noch dem linken politischen Spektrum zugeordnet werden, sind stark angestiegen: zwischen 2019 auf 2021 haben sie sich von 6.664 auf 21.339 mehr als verdreifacht. Viele Straftaten haben einen direkten Bezug zur Corona-Pandemie, viele wurden auf den Protesten registriert.
Wie werden politisch motivierte Straftaten erfasst?
Die örtliche Polizeidienststelle prüft, unter welchen Umständen eine Straftat begangen wurde und welche Motive die/der Täter*in hatte. Beamt*innen müssen dazu einen Fragenkatalog ausfüllen, in dem sie die Straftaten auch Themen, darunter "Hasskriminalität" oder die Corona-Pandemie, und sogenannten Angriffszielen wie etwa Gedenkstätte zuordnen.
Falls die Polizeibeamt*innen den Verdacht haben, dass die Tat politisch motiviert war, wird das an die polizeiliche Staatsschutzabteilung weitergeleitet, die das prüft. Von dort geht die Straftat weiter ans Landeskriminalamt, danach ans Bundeskriminalamt, das sie in die PMK-Statistik mit aufnimmt. Falls die Tat weder rechts noch links oder einer "im Ausland begründeten Ideologie" oder "religiösen Ideologie" zugeordnet werden kann, fällt sie unter "nicht zuzuordnen".Quelle
Mehr zur Erfassung der Straftaten, zu Aufbau & Kritik an der PMK in unserem FACTSHEET.
Der Themenfeldkatalog zur PMK ist seit heute online verfügbar: LINK
Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Zuordnung der Straftaten?
Es gibt zwei Gründe, warum so viele Straftaten als nicht zuzuordnen gelten: Zum einen sind es die allgemeinen Schwächen der Erfassung politisch motivierter Taten. Zum anderen sind einige Straftaten tatsächlich schwer einzuordnen.
Die Schwächen der PMK: Untererfassung rechter Straftaten
Fachleute weisen aber immer wieder auf Probleme in der PMK hin. Die erschweren teilweise auch eine Zuordnung von Straftaten, die im Rahmen der Proteste begangen werden:
- Fehlende Sensibilisierung: Ob eine Straftat als politisch motiviert eingestuft wird, hängt Fachleuten zufolge maßgeblich von der Einschätzung der zuständigen Beamt*innen ab. Wie sie eine Tat bewerten, liegt auch an ihrer Sensibilisierung, zum Beispiel ob sie bestimmte Codes erkennen. Das macht eine Einschätzung schwer, wenn Täter*innen etwa keine typischen Rechtsextremist*innen sind, sondern wie "normale Bürger*innen der Mitte" wirken.
- Uneinheitliches Vorgehen: Die Kriterien für die PMK sind zwar bundesweit abgestimmt, es gibt aber keine einheitlichen Formulare. Das genaue Vorgehen zur Einstufung von Straftaten variiert teilweise unter den einzelnen Polizeidienststellen. Dadurch kann es auch zu deutlichen Unterschieden der Einstufungen in den einzelnen Bundesländern kommen.
- Untererfassung rechter Straftaten: Verbände weisen immer wieder darauf hin, dass die PMK rechte Straftaten nicht ausreichend erfasst. Das liegt unter anderem daran, dass Betroffene oft wenig Vertrauen in Behörden haben und diese nicht zur Anzeige bringen.
- Ungenaue Definitionen: Die politische Motivation muss tatauslösend sein, damit eine Straftat in der PMK gelistet wird. Genau diese Motivation ist aber oft schwer zu bestimmen, etwa wenn Beschuldigte keine ausreichenden Angaben dazu machen. Zudem werden Fachleuten zufolge bei rechten Straftaten politische Absichten zielgerichtet umgesetzt, "häufig schlägt sich eher eine schlichte aber deutliche Gesinnung mit ausgeprägten Feindbildern nieder". Unklar ist auch, ob nur die Motivation während der Tat heranzuziehen ist, oder auch das sonstige Verhalten oder Vorstellungen mit in die Bewertung einfließen.Quelle
Eine klare Zuordnung macht nicht immer Sinn
Auch politisch gibt es seit Beginn der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen Schwierigkeiten, sie politisch zuzuordnen. Es ist bekannt, dass rechte Gruppen häufig zu Corona-Protesten mobilisiert haben, ihre Teilnahme wurde oft toleriert. Jedoch gab es lokale Unterschiede, viele verschiedene Gruppen und Milieus nahmen an den Protesten teil, eine eindeutige politische Zuordnung ist schwierig. Das Problem zeigt sich teilwese auch bei der Zuordnung der Straftaten, die dort begangen werden.
Zudem sei eine Zuordnung auch nicht immer sinnvoll, sagen Fachleute. Das zeigt etwa die Erfassung antisemitischer Vorfälle. Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) dokumentieren Vorfälle – dazu gehören auch solche im nicht strafbaren Bereich. 2020 war rund die Hälfte Vorfälle, die RIAS erfasste, nicht zuzuordnen. Viele davon hatten einen Bezug zur Corona-Pandemie.
Mehr zum Thema Antisemitismus während der Corona-Pandemie in unserem Dossier
"Die Vorfälle sollten nur einem Spektrum zugeordnet werden, wenn es auch erkennbar ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Täter erkennbare Symbole auf Tattoos oder Kleider tragen oder sich etwa in einem Schreiben politisch bekennen", sagt Bianca Loy von RIAS. Oft könnten aber etwa die Betroffenen nichts zum Hintergrund der Täter*innen sagen.
Um Vorfälle genauer erfassen zu können, hat RIAS neben rechts und links weitere Kategorien eingeführt. Dazu gehören unter anderem "verschwörungsideologisch" und "politische Mitte". "Das ermöglicht uns, das Geschehen konkreter zu beschreiben", so Loy.
Was hat das mit "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zu tun?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führte 2021 bereits eine neue Kategorie ein: "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Es geht um das selbe Phänomen, auch der VfS hatte Probleme damit, Personen und Gruppen im Rahmen der Corona-Proteste einzuordnen.
Die Kategorie hängt nicht mit der PMK zusammen: Der Verfassungsschutz beobachtet Gruppen oder Personen als Verdachtsfall oder wegen extremistischer Bestrebungen. In der PMK geht es um konkrete Straftaten. An der neuen Kategorie des BfV gab es Kritik, unter anderem da nicht klar sei, was damit gemeint sein soll. Medienberichten zufolge wird sie im neuen Verfassungsschutzbericht gar nicht auftauchen – unter anderem da die Szene rund um die Corona-Proteste zu heterogen sei und der BfV deswegen noch keine belastbaren Aussagen dazu treffen könne.
Von Andrea Pürckhauer
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