Zwischen 1998 und 2011 verübte das Terrornetzwerk NSU zahlreiche rassistische Straftaten, darunter zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und eine Brandstiftung. Die Verbrechen gelten als die schlimmste rechtsextremistische Terrorserie der Nachkriegszeit. Dennoch werden die Straftaten bis heute nicht in der Statistik zur "Politisch motivierten Kriminalität" (PMK) aufgeführt.
Das Beispiel des NSU ist nur eines von vielen. Es gibt unzählige rassistische Delikte, die nicht in der PMK auftauchen. 2017 zählte das Bundesinnenministerium 838 "fremdenfeindliche" Gewaltdelikte. Der "Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt" hingegen kam allein für die ostdeutschen Bundesländer, Berlin und Schleswig-Holstein auf 814. Woran liegt das? Und welche Reformen wären nötig, um rassistische Straftaten künftig besser zu dokumentieren? Die Rechtsanwältin Kati Lang hat dazu eine Expertise für den MEDIENDIENST verfasst.
Die Expertise können Sie HIER herunterladen.
Wie werden rassistische Straftaten erfasst?
Rassistische Straftaten werden in der Statistik zur "Politisch motivierten Kriminalität" (PMK) erfasst. Die PMK ist eine "Eingangsstatistik". Das heißt: Straftaten werden zu Beginn der polizeilichen Ermittlungen in die Statistik aufgenommen. Ob eine Tat erfasst und als rassistisch eingestuft wird, hängt daher maßgeblich von der jeweils zuständigen Polizeibehörde ab.
Wird erst später – zum Beispiel im Gerichtsverfahren – bekannt, dass die Straftat rassistisch motiviert war, geht das nicht zwangsläufig in die Statistik ein. Denn Staatsanwaltschaften sind in der Regel nicht dazu verpflichtet, Erkenntnisse aus Gerichtsverfahren an die Polizei weiterzugeben. Nachmeldungen können ohnehin nur bis zum 31. Januar des Folgejahres berücksichtigt werden. Das erklärt, weshalb die Taten des NSU nicht in der PMK stehen: Als 2011 bekannt wurde, dass die Delikte politisch motiviert waren, war eine Nachmeldung nicht mehr möglich.
Die PMK bilde daher nicht das tatsächliche Ausmaß rassistischer Straftaten ab, schreibt Kati Lang in der Expertise. Erschwerend komme hinzu, dass viele Betroffene die Vorfälle gar nicht erst anzeigten – auch, weil sie wenig Vertrauen in die Polizei hätten. Zudem seien Polizeibehörden nicht ausreichend für Rassismus sensibilisiert. Viele Beamte seien daher nicht in der Lage, rassistische Straftaten als solche zu erkennen und entsprechend zu erfassen. All das führe dazu, dass Opferberatungsstellen seit Jahren deutlich mehr Delikte registrieren als die Behörden.
Welche Reformen wären nötig?
Um rassistische Straftaten künftig besser zu erfassen, sieht Kati Lang unter anderem die Polizei in der Pflicht: Sie solle spezielle Anlaufstellen für Betroffene einrichten und sie dazu ermutigen, rassistische Delikte anzuzeigen. Denn die Erfahrung von Beratungsstellen zeige, dass sich das Anzeigeverhalten ändert, wenn die Betroffenen von den Behörden ernstgenommen werden.
Darüber hinaus plädiert die Autorin dafür, eine sogenannte Verlaufsstatistik einzuführen. Darin wären nicht nur die polizeiliche Einschätzung zur Tat vermerkt, sondern Informationen aus allen Phasen des Ermittlungsverfahrens – also auch aus Gerichtsverfahren.
Von Jennifer Pross
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