Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2012 sind zwei Drittel der Deutschen davon überzeugt, dass Zuwanderung die Sozialsysteme belastet. Um hier Klarheit zu schaffen, hat die Bertelsmann Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben, die sie im November 2014 veröffentlichte. Autor der Studie ist Volkswirtschaftsprofessor Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Seine Berechnungen auf Grundlage der Daten von 2012 ergeben: Jeder Ausländer zahlt pro Jahr durchschnittlich 3.300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben als er an staatlichen Leistungen erhält. Dieser Überschuss von 22 Milliarden pro Jahr sei in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Die Bilanz fällt also positiv aus. Dabei gilt zu berücksichtigen: Bei der Berechnung der Einnahmen und Ausgaben für den Sozialstaat gibt es keinen "Migrationshintergrund" – man kann man nur nach Deutschen und Ausländern unterscheiden. Eingebürgerte oder Nachkommen aus binationalen Ehen verschwinden in der Statistik als deutsche Steuerzahler.
Die ZEW-Analyse betrachtet die fiskalischen Beiträge der bereits in Deutschland lebenden Ausländer auf der einen Seite und die Staatsausgaben auf der anderen. Dazu zählen neben Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Gesundheitsvorsorge usw. auch Ausgaben für den Bildungsbereich. Hier hier sehen die Studienmacher ein großes Potenzial für mehr Einnahmen in der Zukunft: Besonders wirksam könnten öffentliche Haushalte entlastet werden, wenn mehr Investitionen in die Bildung getätigt würden und künftige Zuwanderung sinnvoll gesteuert werde. "Je besser qualifiziert die Zuwanderer, desto höher ihr Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Kassen", sagte Studienautor Bonin laut Pressemitteilung der Bertelsmann Stiftung.
Sinn errechnet Minuswert für Ausländer, nicht aber für Deutsche
Der Ökonom Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, will die positive Bilanz in einem Gastbeitrag in der FAZ so nicht stehen lassen. Knapp vier Wochen nach Erscheinen der Studie schreibt er, er sei "verblüfft" über den Eindruck, den die Studie vermittelt hat. Denn: "Bonin betont in seiner Studie ausdrücklich, dass die fiskalische Bilanz der Ausländer ins Defizit gerät, wenn man die allgemeinen Staatsausgaben wie Verteidigung, Infrastruktur, Rechtssystem, Polizeikosten, Kosten der öffentlichen Verwaltung und ähnlichem einrechnet." Er habe sich die Mühe gemacht, diese Ausgaben zu berechnen und erklärt:
- 5.100 Euro habe der Staat 2012 pro Jahr und pro Kopf für die öffentlichen Leistungen ausgegeben (ohne Bildung, weil diese ja in der Studie enthalten war).
- Ziehe man von diesem Betrag das Plus von 3.300 Euro pro Migrant ab, komme man auf ein Defizit von 1.800 Euro.
"Das Vorzeichen dreht sich also um", schreibt Sinn in seinem Kommentar und spricht von der "Rolle des Wohlfahrtsstaates als Wanderungsmagnet" und Migranten als "Kostgänger des Staates". Er lässt in seinem Artikel allerdings unerwähnt, dass seine negativen Ergebnisse für sämtliche Einwohner in Deutschland gelten müssten: Das Plus, das Deutsche nach der Bertelsmann-Studie erwirtschaften, liegt bei 4.000 Euro → hier läge das entsprechende Defizit für die Staatsausgaben pro Person also bei 1.100 Euro.
Projektmanager Franco Zotta von der Bertelsmann Stiftung erklärt, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung habe nach internationalen Standards geforscht. "Will man die Effekte von Migranten auf den Sozialstaat berechnen, ist es weltweit üblich, nur die persönlichen Kosten in den Blick zu nehmen, die einem Individuum unmittelbar zugerechnet werden können." Kosten für die Bundeswehr, Straßenbau oder Verwaltung sind nicht unbedingt abhängig von der Anzahl an Migranten. "Dennoch haben wir auch diese Kosten in der Studie berücksichtigt."
Für den Unterschied der Steuereinnahmen zwischen Deutschen und Ausländern bietet die Bertelsmann-Studie eine Erklärung: Zwar sei das Qualifikationsniveau der Zuwanderer in den vergangenen Jahren "merklich gestiegen". Doch nach wie vor sei vor allem die erste Generation von Gastarbeitern geringer qualifiziert und hätte nicht die durchschnittlichen Einkommen der deutschen Gesamtbevölkerung erreicht. Dies würde sich allerdings relativieren, wenn man die Gruppe nicht mit der Gesamtbevölkerung, sondern mit Menschen auf dem gleichen Qualifikationesniveau vergleicht. "Dann stehen Migranten in ihren Beiträgen den ähnlich qualifizierten Deutschen in nichts nach", betont ein Bertelsmann-Vorstand.
Von Ferda Ataman
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