Steigende Asylzahlen, vergleichsweise wenig Migration
2023 wurden in Frankreich rund 167.000 Asylanträge gestellt – deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 334.000. Insgesamt kamen nach Frankreich in den letzten Jahren aber deutlich weniger Menschen als etwa in Deutschland: So sind dort aktuell laut UNCHR rund 70.000 Geflüchtete aus der Ukraine registriert, im Vergleich zu über einer Million in Deutschland.
Frankreich ist aktuell also weniger von Migration geprägt als andere EU-Staaten: Der Anteil der "Foreign born", also im Ausland geborenen, lag laut Eurostat in Frankreich 2023 bei 13,1 Prozent. Damit liegt das Land EU-weit auf Platz 15, deutlich hinter Deutschland (mit 19,5 Prozent auf Platz 7), Österreich, Schweden oder Spanien. Ein Grund sind strenge Regeln für qualifizierte Zuwanderer. Zugleich war Frankreich lange aufgrund der Kolonialgeschichte ein wichtiges Einwanderungsland. Das zeigt sich weiterhin: 2022 kamen rund 48 der Eingewanderten aus einem afrikanischen Staat. 12,5 Prozent kamen aus Algerien, 11,9 Prozent aus Marokko und 8,2 Prozent aus Portugal.Quelle
Europawahl: Rassemblement National in Umfragen weit vorne
Bei den letzten beiden Europawahlen gewann die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN), zuvor Front National, mit knappem Vorsprung: 2014 mit 24,86 Prozent vor der Mitte-Rechts-Partei UMP mit 20,81 Prozent und 2019 mit 23,34 Prozent knapp vor Macrons Bündnis mit 22,42 Prozent.Quelle
Aktuelle Umfragen sagen für die Europawahl im Juni einen deutlicheren Vorsprung für die Liste Rassemblement National voraus: In einer Umfrage von IPSOS kam sie im April auf 32 Prozent, das Bündnis Renaissance von Macron auf 16 Prozent.Quelle
Der Wahlkampf wird sich zwischen den beiden Parteien abspielen, beide haben aber kein wirkliches Programm für die Wahl vorgestellt. Das RN stellt sich deutlich gegen die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und deklariert die Europawahl zum Referendum über Migration. Die Zuständigkeit für das Thema will es auf die nationale Ebene zurückholen.
Macron ist ein Verfechter der GEAS-Reform. Bei Fragen zur Migration, Identität oder dem Islam wird ihm vorgeworfen, in den letzten Jahren nach rechts gerückt zu sein – zuletzt zeigte sich das in der Debatte zur Einwanderungsreform (siehe unten). Macron verwendet im Bezug auf Migration häufig den Slogan "Fermeté et humanité", in etwa "Härte und Menschlichkeit".
Migrationsdebatten drehen sich um Identität und Kriminalität
In einer Eurobarometer-Umfrage vom Februar 2024 zeigten Befragte aus Frankreich einen deutlich negativeren Blick auf die EU als der EU-Durchschnitt. Als wichtigstes Thema vor der Europawahl nannten sie den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Migration kommt erst nach einigen anderen Themen wie Klimawandel, dem Gesundheitssystem oder Kriminalität.Quelle
Dennoch: Migration wird auch das dominierende Thema im Europawahlkampf sein, so die Einschätzung von Mariana Mendes, Politik- und Sozialwissenschaftlerin am Institut MIDEM. "Die ohnehin schon negative Debatte hat aktuell einen neuen Höhepunkt erreicht. Die rechtsextremen Kräfte geben dabei ganz klar den Ton an. Im Diskurs der extremen Rechten wird Migration als Bedrohung für die französische Identität und die Sicherheit sowie als Last für den Wohlfahrtsstaat dargestellt. Migration wird immer wieder mit Kriminalität, Missachtung der republikanischen Werte oder Islamismus in Verbindung gebracht."
Das rechtsextreme Rassemblement National um Marine Le Pen prägt seit Jahren die Migrations-Debatte in Frankreich. Daneben gab es den rechtsextremen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2022: Éric Zemmour verbreitete Verschwörungserzählungen vom "großen Austausch" und forderte eine "Null-Einwanderungspolitik". Immer wieder zu hören ist auch der Begriff "submersion", also eine "Überflutung" durch Migration. Debatten um etwa Fachkräftemangel oder Integration spielten aktuell kaum eine Rolle in den politischen Debatten, so die Forscherin.Quelle
Zwei weitere Themen prägten in den letzten Monaten die Migrationsdebatten in Frankreich:
1. Einwanderungs-Reform mit Stimmen der Rechten
Im Januar ist in Frankreich ein neues Einwanderungsgesetz verabschiedet worden: "das Gesetz, um Einwanderung zu kontrollieren, Integration zu verbessern". Es war eines der wichtigsten Vorhaben Macrons. Das Gesetz wurde heftig debattiert, das RN und die konservativen Républicains verhandelten mehrere Verschärfungen rein. Nur mit ihrer Hilfe konnte das Gesetz verabschiedet werden, das RN feierte es als "ideologischen Sieg". Viele Abgeordnete der Regierungsparteien stimmten dagegen, der Gesundheitsminister trat zurück, landesweit gab es Proteste gegen das Gesetz.
Der Verfassungsrat, das französische Verfassungsgericht, kippte im Januar über ein Drittel der Artikel – nachdem Macron selbst das Gremium zur Prüfung aufgefordert hatte. Insbesondere viele Verschärfungen, die die rechten Parteien eingefordert hatten, wurden wieder gestrichen. Die Begründung: Sie hätten wenig mit dem Ausgangstext zu tun, einige seien verfassungswidrig.Quelle
Die wichtigsten Änderungen im Gesetz:
- Vorübergehender Aufenthaltstitel für Menschen in aufenthaltsrechtlicher Illegalität, die in Berufen mit Arbeitskräftemangel arbeiten (Artikel 27); erleichterte Zuwanderung für Ärzt*innen und Pharmazeut*innen (Artikel 31)
- Asylverfahren sollen beschleunigt, dafür werden Zentren "France asile" eingerichtet werden (Artikel 62)
- Asylsuchende sollen leichter inhaftiert werden können (Artikel 41), Ausländer*innen mit regulärem Aufenthalt, die schwere Straftaten begehen, sollen leichter abgeschoben werden können (ab Artikel 35).
Der Verfassungsrat hat 35 von 86 Artikeln gestoppt, darunter:
- Erschwerter Zugang zu Sozialleistungen, darunter Wohnungsgeld, für nicht-EU-Ausländer
- Erschwerter Familiennachzug
- Kaution für ausländische Studierende für den Fall, dass sie abgeschoben werden
- Jährlich festgelegte Migrations-Quoten
- Wiedereinführung des Straftatbestands "illegaler Aufenthalt".Quelle
2. Mayotte: Kleine Insel im Fokus einer Debatte um Zugehörigkeit
Eine kleinere Debatte dreht sich gerade um die Insel Mayotte, französisches Überseegebiet zwischen Mosambik und Madagaskar. Aktuell kommen dort viele Migrant*innen und Geflüchtete an. Viele leben dort unter extrem prekären Bedingungen und hängen auf der Insel fest, unter anderem wegen zahlreicher Ausnahmen des französischen Asylrechts.
Innenminister Gérald Darmanin hat im Februar angekündigt, das ius-soli-Prinzip (also Geburtsortprinzip) für Mayotte abschaffen zu wollen. Dafür müsste die Verfassung geändert werden hinsichtlich des Sonderstatus für die französischen Überseegebiete. Fachleuten zufolge würde Frankreichs Gleichheitsprinzip dadurch gekippt.
Die Ausgangslage: Angeblich versuchen Migrant*innen, ihre Kinder dort auf die Welt zu bringen, um sich einen Aufenthaltsstatus zu sichern. Es erhalten jedoch nicht alle Personen, die in Frankreich geboren werden, die französische Staatsbürgerschaft: Das ist für Kinder ausländischer Eltern nur möglich, wenn auch schon ein Elternteil in Frankreich geboren wurde. Ist das nicht der Fall, gelten strengere Regeln - und nochmal strengere Regeln auf Mayotte. Das Rassemblement National fordert schon länger, das ius-soli-Prinzip abzuschaffen.Quelle
Von Andrea Pürckhauer
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